Friesenkinder
Ihren Sohn tot an der Gedenkstätte in Ladelund …«
Ehe er den Satz beenden konnte, brach die junge Mama zusammen. Zusammen mit der Frau, die sich rasch als Miriams Mutter vorstellte, fing er sie auf und schaffte sie ins Wohnzimmer, wo sie sie auf das Sofa legten. Die Mutter lief anschließend direkt zum Telefon, um einen Arzt zu rufen, während er etwas hilflos neben Miriam stand.
»Frau Kuipers«, versuchte er, die Ohnmächtige anzusprechen, und klopfte ihr mit der Hand leicht auf die Wange. »Frau Kuipers?« Die junge Frau kam langsam zu sich, doch ihr Blick war ausdruckslos und erinnerte ihn an den von Dörte. Für sie war der Leichenfund schon schlimm gewesen, wie musste es erst für die Mutter des Babys sein? Zumal sie bereits seit der Entführung in Angst und Sorge um das Kind lebte. Kein Wunder, wenn sie nun einfach zusammenklappte und scheinbar aus Selbstschutz in eine andere Welt abtauchte. Wie sonst konnte man diesen Schmerz ertragen?
Nur wenige Minuten später traf der Arzt ein. Er maß den Blutdruck und testete einige Reaktionen, ehe er der jungen Frau ein Mittel spritzte und der Mutter Anweisungen gab.
»Mit Ihnen kann sie im Moment ohnehin nicht sprechen«, sagte er, an Thamsen gewandt. »Es ist besser, Sie gehen jetzt. Ihre Anwesenheit erinnert sie nur an die schreckliche Tatsache.«
Dirk nickte. Der Mediziner hatte recht. Aus der apathischen Frau würde er ohnehin nichts herausbekommen.
Er drückte der Mutter seine Karte in die Hand, murmelte ein »Mein Beileid« und verließ zusammen mit dem Arzt das Haus.
»Das wird sie umbringen«, murmelte dieser, als sie den Weg zur Dorfstraße hinunter nebeneinanderher gingen.
Thamsen nickte. Er verstand, was der andere meinte. Der Verlust eines Kindes ließ immer auch einen Teil von einem selbst sterben. Soweit er wusste, hatte Miriam Kuipers lang für dieses Kind gekämpft, umso schlimmer musste sie nun der Verlust treffen.
An der Straße trennten sich die beiden. Eigentlich hätte Dirk dem Mediziner einige Fragen stellen wollen, doch er war einfach nur unfähig zu sprechen und brachte kein Wort heraus. Dem Arzt ging es vermutlich ähnlich, denn sie nickten sich zum Abschied lediglich kurz zu, bevor sie jeder in ihren Wagen stiegen und beide Richtung Maasbüll fuhren.
Thamsen konnte jetzt nicht einfach so nach Hause fahren und sich ins Bett legen. Und zu Dörte wollte er auch nicht. Er musste selbst erst einmal einen klaren Kopf bekommen. Daher beschloss er, noch ein Bier in der Gaststätte zu trinken, und war nicht erstaunt, als der Arzt ebenfalls in die Auffahrt der Wirtschaft abbog.
Als hätten sie es vorher verabredet, gingen sie zusammen ins Lokal und setzten sich an einen Tisch. Der Raum war nicht allzu voll, denn unter der Woche war selten viel Betrieb und schon gar nicht zu solch später Stunde.
Sie bestellten jeder ein Bier und saßen schweigend da, bis der Gastwirt ihnen die Gläser auf den Tisch stellte. »Na, alles klar?«, versuchte der, ein Gespräch in Gang zu bringen, doch die beiden hoben nur stumm ihre Gläser und tranken sie in einem Zug aus.
»Noch eins«, war das Erste, was Thamsen wieder über die Lippen brachte, und das eher, um den Wirt, der neugierig an ihrem Tisch stand, einfach loszuwerden.
»Ich habe versucht, sie darauf vorzubereiten, aber ich bin auch kein Psychologe. Es war schließlich klar, dass nur eine kleine Chance bestand, den Kleinen rechtzeitig zu finden.«
Der Arzt sagte das in einem völlig neutralen Tonfall. Nicht, als ob der Tod des Babys Thamsens Schuld sei. Viele würden das jedoch so sehen und auch die Medien würden die Polizei wahrscheinlich wieder als unfähig darstellen und mitverantwortlich machen für den Tod des Säuglings. Und irgendwie fühlte Dirk sich auch schuldig.
»Vielleicht hätte man diesen Typen doch stärker auf die Finger gucken müssen. Miriam selbst hat erst noch vor Kurzem gesagt, sie glaubt, diese Neonazis stecken dahinter.«
Der Arzt blickte ihn überrascht an. »Wirklich?«
»Na ja, der Fundort des Kleinen deutet darauf hin. Zusätzlich scheinen die beiden Taten miteinander verknüpft zu sein. Und da wir bei dem Mord an Dr. Merizadi von einem fremdenfeindlichen Motiv ausgehen, liegt es nahe, dass der Täter zumindest aus dem gleichen Umfeld stammen könnte.«
»Ich weiß nicht.« Der Arzt trank einen großen Schluck Bier. »Vielleicht wollte auch nur jemand, dass es so aussieht. Warum sollten diese Kerle, bitte schön, ein Baby aus dem Krankenhaus entführen?«
Das
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