Friesenrache
wissen, von wann diese Briefe stammten und ob die Affäre zwischen dem Nebenbuhler und seiner Frau noch bestand, wollte ihn schlichtweg zur Rede stellen«, mutmaßte er.
Marlene nickte. »Wie dem auch sei«, schlussfolgerte sie, »ich denke, dieser Tati ist unser Mann.«
Haie saß an diesem Morgen ebenfalls noch reichlich verschlafen am Frühstückstisch und nippte an einer Tasse starken Kaffees. Er hatte am gestrigen Abend sämtliche alte Fotoalben gewälzt und stundenlang darüber nachgedacht, welcher seiner ehemaligen Schulkollegen wohl der Verfasser der Liebesbriefe sein könnte. Die Schriftstücke waren seiner Meinung nach älteren Datums. Die verblasste Schrift und das vergilbte Papier wiesen für ihn eindeutig darauf hin, dass die Schreiben schon etliche Jahre in der Holzschachtel gelegen haben mussten. Vermutlich stammten sie noch aus Sophie Carstensens Schul- oder Lehrzeit.
Dass der Verehrer jemand aus dem Dorf sein musste, hielt er für äußerst wahrscheinlich. Wo sonst sollte sie ihn kennengelernt haben? Doch je länger er die wenigen Erinnerungsbilder aus seiner Schulzeit betrachtet hatte, umso ratloser war er geworden. Viele schwärmten in jener Zeit für das attraktive Mädchen. Er erinnerte sich an die Schulfeste, die damals einmal im Jahr stattfanden und auf denen jeder nur mit Sophie Carstensen tanzen wollte. Das Bild einer langen Schlange williger Tanzpartner war vor seinem inneren Auge aufgetaucht.
Dennoch schien unter ihnen jemanden gewesen zu sein, der Sophie mit seinen werbenden Aktionen beeindruckt und für sich gewonnen haben musste. Der Ring zeugte von einer durchaus intensiveren Beziehung, und da sie die Briefe über all die Jahre hinweg aufbewahrt hatte, musste auch ihr etwas an diesem Tati gelegen haben.
Allerdings war ihm außer Kalli niemand bekannt, der ein engeres Verhältnis zu Sophie Carstensen gehabt hatte. So sehr er seine grauen Gehirnzellen auch bemühte, ihm war niemand eingefallen.
Resigniert hatte er schließlich die Alben zugeschlagen und sich ein Gläschen Rotwein gegönnt. Doch bei dem einen Glas war es nicht geblieben. Bis weit nach Mitternacht hatte er versucht, seinen Frust über die stockenden Ermittlungen im Alkohol zu ertränken, und war schließlich auf dem Sofa eingeschlafen, von welchem er sich erst am Morgen mit steifen Gliedern und einem dröhnenden Kopf wieder erhoben hatte.
Das schrille Läuten des Telefons schmerzte in seinen Ohren. Das Geräusch ging ihm durch Mark und Bein.
»Ketelsen?«
»Wie hörst du dich an?« Es war Tom, der sich über die krächzende Stimme seines Freundes wunderte. »Bist du krank?«
»Nee«, antwortete Haie kurz angebunden und erklärte seine Unpässlichkeit damit, er habe schlecht geschlafen, was eigentlich nicht ganz der Wahrheit entsprach, denn durch seinen Rausch hatte er die Nacht in einem komaähnlichen Zustand verbracht. Aber das verschwieg er wohlweislich, und Tom ging glücklicherweise nicht weiter darauf ein, sondern erzählte von der Entdeckung, welche Marlene am Morgen gemacht hatte. An den im Maisfeld gefundenen Zettel hatte Haie auch nicht mehr gedacht. Sein Herz schlug plötzlich ein paar Takte schneller.
»Bin gleich bei euch«, beeilte er sich die Frage, ob er selbst einen Blick auf den sensationellen Fund werfen wolle, zu beantworten und legte auf.
Nur wenige Minuten später stand er in der Küche der beiden Freunde und verglich erstaunt die Schriftstücke. »Das sollten wir dem Kommissar zeigen«, kommentierte er die übereinstimmenden Schreiben.
Thamsen stand an diesem Morgen früh auf, schlüpfte in seine Laufschuhe und drehte eine Runde durch den Gotteskoog. Die frische Luft tat ihm gut und machte seinen Kopf frei, in dem sich die Gedanken immer wieder um die Frage drehten, wie sie Ulf Carstensen überführen konnten.
Nach der sportlichen Betätigung duschte er und bereitete anschließend das Frühstück für seine Kinder zu.
»Können wir heute nach der Schule zu Mama gehen?« Anne schaute ihn mit bittenden Blicken an, und er stimmte zu. Vor ihm lag noch jede Menge Arbeit, und obwohl er es nicht unbedingt guthieß, wenn Timo und Anne zu viel Kontakt zu seiner Exfrau hatten, war er dennoch froh, sie am Nachmittag in deren Obhut zu wissen. Er wollte den Fall möglichst bis zu den Herbstferien aufgeklärt haben und benötigte dazu jede freie Minute.
Nachdem er seine Kinder zur Schule gebracht hatte, fuhr er ins Büro und sprach mit seinen
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