Friesenrache
versucht, die Gaststube möglichst ungesehen wieder zu verlassen, denn der Polizei wollten sie mit der Kiste aus Kalli Carstensens Haus auf gar keinen Fall begegnen. Doch nach der lautstarken Begrüßung des Gastwirts waren plötzlich alle Augen der anwesenden Gäste auf sie gerichtet, und so blieb ihnen nichts anderes übrig, als sich der prekären Situation zu stellen.
Haie ließ blitzschnell die hölzerne Schachtel unter seiner Jacke verschwinden und trat dann lächelnd auf den Wirt zu.
»So voll, wie das hier ist, haben wir gedacht, du hast eine geschlossene Gesellschaft, Fritz«, bemühte er sich ihren Versuch, klammheimlich wieder den Gastraum zu verlassen, zu erklären. »Wollten ja nicht stören.«
Der Inhaber strahlte und beeilte sich, den Besucherandrang durch die hervorragende Küche und den guten Service zu begründen.
»Seit der Dieter hier kocht, können wir uns vor Gästen kaum retten.«
Es fand sich aber tatsächlich noch ein freier Tisch. Der Gastwirt führte sie höchstpersönlich durch den Raum zu einem Platz in unmittelbarer Nähe zu Thamsen und dessen Begleiter.
»Das ausgerechnet der hier heute zu Mittag essen muss«, murmelte Haie, während er mit gespielt freundlicher Miene den Kommissar durch ein Kopfnicken begrüßte.
Glücklicherweise erhob sich Ulf Carstensen bereits kurze Zeit später, und Thamsen deutete dem Wirt mit einem Fingerzeig an, dass er zahlen wollte. Nachdem er die Rechnung beglichen hatte, kam er zu ihnen an den Tisch.
»Die Leber ist vorzüglich«, kommentierte er die Speisen, die dampfend vor ihnen standen. Sie nickten schweigend, und Haie schielte verstohlen auf die Holzschachtel, die er auf dem freien Stuhl unter seiner Jacke versteckt hatte. Hoffentlich wollte der Kommissar sich nicht zu ihnen setzen. So neugierig er auch auf die neuesten Erkenntnisse der Polizei war, momentan war der Zeitpunkt für einen Informationsaustausch äußerst ungünstig. Nicht auszudenken, wenn Thamsen die Kiste zu Gesicht bekam und womöglich nach deren Herkunft fragte.
Doch der Kommissar hatte es sichtbar eilig. Er klopfte zum Abschied mit der Faust auf den Tisch und verließ anschließend die Gaststube.
Die Freunde atmeten erleichtert auf.
»Puh, das war knapp«, stellte Tom fest und griff nach dem Besteck. »Stellt euch vor, er hätte die Schachtel gesehen. Ihr wisst ja, was er von unseren Alleingängen hält.« Er schob sich ein großes Stück Leber in den Mund. Seine Verletzung schien ganz offensichtlich keinerlei Auswirkungen auf seinen Appetit zu haben.
Marlene hingegen war das Bedürfnis, etwas Essbares zu sich zu nehmen, auf den Schrecken hin vergangen. Sie war zwar ebenfalls der Meinung, dass man den Einbruch nicht gutheißen konnte, aber der geheimnisvolle Holzkasten war natürlich äußerst interessant und ließ ihre Bedenken bezüglich des illegalen Eindringens in das Haus der Carstensens in den Hintergrund treten. Vielleicht enthielt die Kiste ja Hinweise auf den Mörder.
Ungeduldig beobachtete sie, wie die Männer sich hungrig über ihre Mahlzeiten hermachten, während sie vor lauter Aufregung kaum einen Bissen hinunter bekam und deshalb zwischen den Bratkartoffeln und Apfelringen nur herumstocherte.
Endlich schob Haie seinen Teller von sich und wischte sich mit der Serviette über den Mund.
»Komm, lass uns endlich nachschauen, was in der Schachtel ist«, drängelte sie, aber der Freund schüttelte seinen Kopf. Seine Neugierde war bei Weitem nicht so groß wie ihre. Immerhin wusste er bereits, was sich in dem Kästchen befand.
»Nicht hier«, er warf einen Blick in die nach wie vor gut besuchte Gastwirtschaft. »Lasst uns lieber nach Hause fahren.«
20
Marlene hatte bis tief in die Nacht wieder und wieder die Schreiben aus der Holzkiste gelesen. Es waren schöne Briefe, voller leidenschaftlicher Worte, welche Tati seiner Sosi geschrieben hatte. Leider war auf keiner der Liebesnachrichten ein Datum vermerkt, sodass unklar blieb, von wann sie stammten. Hatte Sophie Carstensen während ihrer Ehe eine Affäre gehabt oder war die Beziehung zeitlich früher einzuordnen? Das Briefpapier war vergilbt, die Schrift zum Teil sehr verblasst, was dafür sprach, dass die liebenden Worte vor etlichen Jahren verfasst worden waren.
Auch ein Hinweis auf den wirklichen Namen des Verfassers ließ sich in keinem der Schreiben finden. Stets hatte der Liebende mit den gleichen Worten seine Mitteilungen an die
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