Friesenrache
Geschmack, als dieser mit einem Tablett beladen das Zimmer betrat.
»Leider bin ich gar nicht auf Besuch eingerichtet«, entschuldigte er sich und verteilte die Tassen auf dem Tisch. »Kuchen hab ich jedenfalls keinen da.«
Haie winkte ab. Sie seien ja auch nicht gekommen, um sich bei ihm satt zu essen. Er grinste. Wollten halt lediglich sehen, wie es ihm so ging.
»Wie lange ist es jetzt her, dass du aus Risum weg bist? Vier Jahre?«
»Herbst 1994, fast fünf Jahre«, korrigierte Barne ihn und fügte flüsternd hinzu: »So lange ist Birthe nun schon tot.«
Es entstand eine peinliche Stille, in welcher das Ticken der Pendeluhr unerträglich laut wirkte.
»Hm.« Haie räusperte sich: »Hast du denn noch Kontakte ins Dorf oder bist du nun ganz und gar Insulaner?«
Es war ihm etwas unangenehm, so abrupt das Thema zu wechseln, aber langsam musste er das Gespräch in die vorgesehene Richtung lenken. Sie konnten schließlich nicht ewig hier sitzen und Kaffee trinken. Barne schenkte bereits nach.
Er habe sich inzwischen einigermaßen eingelebt. Anfangs sei es nicht so leicht gewesen. Neuer Job, neues Haus, neue Umgebung, und alles ohne Birthe. Nach und nach habe er sich jedoch an die neue Situation gewöhnt. Blieb ihm ja auch nichts anderes übrig. Seine Frau war tot. Damit hatte er sich abzufinden gehabt. Auch wenn es ihm schwergefallen war. Aber im Nachhinein sei der Neuanfang hier auf der Insel sicherlich das Beste für ihn gewesen.
»Zu Hause hätte mich doch sowieso nur alles an sie erinnert«, begründete er seinen Wegzug aus dem Dorf. Kontakte habe er keine mehr. Zu niemandem. Irgendwie hatte er alle Brücken hinter sich abgebrochen.
»Weißt ja, viele Freunde hatte ich eh nicht.«
Es machte den Anschein als spiele er durch seine Äußerung auf ihren plötzlichen Besuch an.
»Dann weißt du ja auch noch gar nichts von Kalli.« Haie wartete gespannt auf Barnes Reaktion, aber dessen fragende Miene wirkte echt.
»Nee, was ist mit ihm?«
Haie konnte nicht länger mit der schockierenden Nachricht hinter dem Berg halten. Er war zu neugierig, wie Barne reagieren würde.
»Ingwer hat ihn tot aus seinem Maisfeld gefischt!«
Barne sprang augenblicklich wie von der Tarantel gestochen aus dem Sessel auf und stieß dabei heftig an den Couchtisch an, der trotz seiner massiven Bauweise heftig ins Wanken geriet. Das Geschirr schepperte. Kaffee schwappte aus den Tassen.
»Deswegen seid ihr also hier aufgetaucht!«, schrie er. »Habt ihr die Polizei gleich mitgebracht?«
Er rannte zum Fenster hinüber und spähte suchend hinaus. Tom und Marlene waren sprachlos, und auch Haie benötigte einige Minuten, bis er sich gefasst hatte.
»Mensch Barne, nun krieg dich mal wieder ein. Du glaubst doch nicht im Ernst, dass ich denke, du könntest etwas damit zu haben, oder?«
Der ehemalige Dorfbewohner drehte sich zu ihm um und blitzte ihn wütend an. Doch, genau diesen Eindruck hätte er. Sie wüssten ja wohl Bescheid über seine Anzeige gegen Kalli. Und dass er ihn für Birthes Tod verantwortlich machte. Nur deswegen seien sie doch schließlich gekommen.
»Oder?«
Er lag mit seiner Vermutung natürlich richtig, aber Haie hatte nicht damit gerechnet, dass Barne sie so schnell durchschauen würde. Außerdem wussten sie nichts von den Anschuldigungen, die Kalli verantwortlich für Birthes Tod machten. Sie waren ja letztendlich hierhergekommen, um mehr über den damaligen Fall zu erfahren. Was war der wirkliche Auslöser für die Anzeige?
Er betrachtete den Mann, der ihm den Rücken zuwandte. Seine Schultern hatte er leicht angezogen, sodass es aussah, als besäße er nicht wirklich einen Hals. Der Kopf thronte direkt auf den Schultern. Die Hände tief in den Hosentaschen vergraben. Den Blick starr aus dem Fenster gerichtet.
Die Stille war beinahe beängstigend. Es lag eine Spannung in der Luft, zum Greifen nahe. Marlene und Tom blickten zu Haie, dessen Augen sich an Barnes Rücken geheftet hatten. Sie warteten. Worauf, das wussten sie nicht.
Erst nach einigen Minuten, brach der ehemalige Dorfbewohner unvermittelt das Schweigen.
»Ihr habt ja keine Ahnung«, flüsterte er und fuhr ohne weitere Aufforderung fort, von den damaligen Ereignissen zu berichten.
Alles hatte damit begonnen, dass Birthe immer dünner wurde. Sie habe einfach keinen Appetit, hatte sie immer wieder gesagt. Nach ein paar Wochen hatte er sie
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