Friesenrache
endlich überreden können, zum Arzt zu gehen.
Die Diagnose hatte sie unerwartet getroffen. Während sie eigentlich davon ausgegangen waren, dass Birthes Appetitlosigkeit von einem Virus oder Ähnlichem herrührte, stellte Dr. Moritzen einen Tumor im Magen fest. Das Gewächs hatte bereits beachtliche Ausmaße angenommen. Eine Operation sei nicht mehr möglich gewesen.
Wie konnte das sein? Woher kam der Tumor? Warum hatten sie ihn erst so spät entdeckt? Zu spät.
Man untersuchte das Gewebe, erforschte Birthes Nahrungsverhalten, erstellte weitere Diagnosen, aber der Krebs blieb ein Rätsel. Und was brachte es, nach dem Grund zu suchen? Das ließ den Tumor auch nicht schrumpfen. Alles, was sie tun konnten, war der Krankheit den Kampf anzusagen, jeden Tag zu genießen, der ihnen vergönnt war, und auf ein Wunder zu hoffen. So hatte er anfänglich zumindest gedacht.
Doch das Wunder trat leider nicht ein. Und mit jedem Tag, den es seiner Frau schlechter ging, war er wütender geworden, und seine Gedanken hatten sich immer stärker um das Warum gedreht.
Barne blickte Haie direkt ins Gesicht. Tränen glitzerten in seinen Augen.
»Ich musste nach einem Grund suchen«, versuchte er, seine damalige Situation zu erklären. Er wäre sonst kaputtgegangen. Marlene nickte. Obwohl der Mord an Heike nicht mit einer Krankheit vergleichbar war, konnte sie seine Motivation sehr gut nachvollziehen. Auch sie hatte eine Art inneren Zwang verspürt, den Grund für diese Ungerechtigkeit zu erfahren, den Mörder ausfindig zu machen. Es hatte ihr keine Ruhe gelassen, und ebenso war es Barne ergangen. Noch während die Krankheit immer weiter fortgeschritten und Birthe schwächer und schwächer geworden war, hatte er sich auf die Suche nach dem Ursprung des Tumors gemacht. Er hatte die Krankenakte studiert, sich die Nächte mit umfangreicher Fachliteratur um die Ohren geschlagen, mit Spezialisten gesprochen. Doch nichts hatte wirklich zu einem brauchbaren Ergebnis geführt, und die Zeit schien ihm davonzulaufen.
Es war an einem Samstagvormittag gewesen, als er von dem Genmais erfahren hatte, den Kalli auf seinen Feldern im Zuge eines Experimentes anbaute. Viel Geld sollte er angeblich dafür kassiert haben. So jedenfalls berichtete es ihm die Besitzerin des SPAR-Markts im Dorf während seines Wochenendeinkaufs.
»War ja klar, dass der sich um die Gefahren, die solch ein genmanipuliertes Gewächs mit sich bringt, keinerlei Gedanken gemacht hat.«
Er hatte daraufhin wieder jede Menge Bücher gewälzt und sich ein enormes Fachwissen über gentechnische Manipulationen angelesen. Er sprach mit Experten, und einer von ihnen erzählte ihm von einer Studie, bei der es bei Ratten zu Organschäden gekommen war. Daraufhin hatte er Kallis Mais etwas genauer unter die Lupe genommen.
Der Landwirt baute das Getreide im Auftrag eines Lebensmittelkonzerns an. Nur zu Forschungszwecken, deswegen durfte er das Getreide auch nicht verkaufen. Den Ernteertrag musste er komplett bei der Firma abliefern, die ihn für den Anbau bezahlte. Aber anscheinend waren trotzdem auch ein paar Tonnen für Kalli abgefallen. Die verfütterte er zunächst nur an seine Kühe und Schweine, später dann mischte er den Genmais unter den legalen Anbau.
»Kein Wunder also, dass er im Dorf immer geprahlt hat, er hole aus seinen Feldern eben mehr als die anderen Bauern raus.«
Haie nickte. Er erinnerte sich gut an die Sprüche in der Gastwirtschaft, die der Schulfreund so manches Mal gemacht hatte, wenn die anderen Landwirte über die mickrige Ernte stöhnten.
»Und die dicksten Schweine und Rinder hatte er auch!«, fügte er deshalb hinzu.
»Genau«, bestätigte Barne. Sein Misstrauen schien plötzlich wie weggeblasen. Er trat zurück an den Tisch und setzte sich wieder zu ihnen. Scheinbar sah er durch Haies Bestätigung in ihm so etwas wie einen Verbündeten, jemanden, der ihn verstand.
»Und durch dieses Fleisch ist Birthe krank geworden.«
Sie bezogen damals ihre Metzgereiwaren immer direkt von Kalli. Sophie führte regelmäßig Hausschlachtungen durch. Frisch vom Erzeuger, da wusste man zumindest, was man bekam, hatten sie gedacht. Aber dem war nicht so. Wenn herausgekommen wäre, dass der Landwirt genmanipulierten Mais an seine Tiere verfütterte, hätte er das Vieh wahrscheinlich notschlachten müssen.
»Aber du hast ihn doch angezeigt.« Haie wunderte sich, dass dabei anscheinend nichts herausgekommen
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