Friesenrache
war.
»Ich hatte ja keine Beweise«, verteidigte Barne sich. Er senkte den Kopf. Die drei Freunde vermuteten, dass er sich schämte, vermeintlich zu früh aufgegeben zu haben. Aber das allein war es nicht.
Kalli hatte ihm Geld geboten, damit er seine Anzeige zurückzog und den Mund hielt.
»Was hätte ich denn machen sollen? Die Medikamente für Birthe kosteten ein Vermögen.«
Wieder herrschte diese angespannte Stille. Die Geschichte, die der ehemalige Dorfbewohner von dem toten Schulfreund erzählte, schockierte sie alle. Haie hatte Kalli ja eine Menge zugetraut, aber dass er genmanipulierten Mais verkaufte und sich dann Barnes Schweigen ergaunerte, indem er dessen verzweifelte Situation, die er vermutlich mitverschuldet hatte, ausnutzte, damit hatte er nicht gerechnet. Er konnte sich vorstellen, was für eine Mordswut in Barne gebrodelt haben musste. Obwohl er das Geld genommen hatte, um Medikamente für seine sterbenskranke Frau zu kaufen. Solch eine Wut, dass er …?
Er blickte auf den zusammengesunkenen Körper vor ihm auf dem Sessel. Eigentlich kannte er diesen Mann kaum. Die Schulzeit lag lange zurück. Und selbst damals hatten sie wenig miteinander zu tun gehabt. Wirklich befreundet waren sie nie gewesen. Barne war schon immer irgendwie anders als alle anderen. Er hatte sich nicht für Fußball interessiert, war in keine Prügeleien verwickelt gewesen, hatte keine Fahrradrennen mitgemacht, lebte immer still und zurückgezogen. Meist für sich allein. Ein Außenseiter. Das hatte sich auch später kaum geändert. Oder zumindest nur kurzfristig. Nach der Schulzeit lernte Barne ein Mädchen kennen. Ein richtiger Wirbelwind war das. Lebenslustig, quirlig, heiter. Sie brachte ihn unter die Leute, schleppte ihn zu allen Dorffesten. Tanzen, essen, feiern. Überall waren sie dabei. Und Barne gefiel es, zumindest dem Anschein nach, auch sehr gut. Er genoss dieses muntere, fröhliche, bewegte Leben. Doch dann traf er Birthe. Es musste Liebe auf den ersten Blick gewesen sein, denn mit wehenden Fahnen verließ er die andere Frau und begab sich unter Birthes Fuchtel. Vielleicht aber war es auch nur eine Flucht.
Als Ulf gegen 19 Uhr nach Hause kam, saß seine Mutter immer noch am Küchentisch. Sie hatte ein altes Familienalbum hervorgeholt und blätterte zwischen den Seiten, auf denen fein säuberlich Aufnahmen aus unterschiedlichen Zeiten geklebt waren.
»Wie glücklich wir damals waren«, flüsterte sie und strich behutsam über eine der Fotografien.
Ulf stöhnte leise auf. »Mama, du warst nie glücklich mit Papa!«
»Das stimmt nicht«, stritt sie vehement ab, obwohl ihre Gedanken nur wenige Stunden in eine ganz andere Richtung gegangen waren.
»Sieh doch nur hier auf deiner Taufe.« Sie deutete auf ein Bild, das sie und Kalli im Kreise der Familie zeigte. In ihren Armen hielt sie den Sohn, der in ein hellblaues Taufkleid gehüllt war. Zu der Zeit waren sie noch eine richtige Familie gewesen. Kein Streit, keine Zwistigkeiten. Jedenfalls war davon nichts auf diesem Foto abgelichtet.
Ulf schüttelte nur seinen Kopf. Er hatte wenig Verständnis für den sentimentalen Rückblick seiner Mutter. Seiner Meinung nach konnte sie froh sein, den Tyrannen endlich los zu sein. Tagein, tagaus hatte er sie schikaniert, gequält und gepiesackt. Von Liebe und Glück war da schon lange nichts mehr zu spüren gewesen, wenn es das überhaupt jemals gegeben hatte.
»Was hast du denn nun eigentlich vor?«, fragte er seine Mutter, die daraufhin lediglich mit den Schultern zuckte.
Den Hof würde sie kaum allein halten können. Nicht aus finanziellen Gründen – Kalli hatte gut vorgesorgt, und ein Teil aus dem Erbe würde ihr wohl auch zustehen –, aber die anfallenden Arbeiten konnte sie unmöglich im Alleingang bewältigen. Die Viehhaltung hatten sie zwar bereits vor einigen Jahren eingestellt, aber auch über Anbau und Ernte sowie die Verwaltung der Ländereien wusste sie so gut wie nicht Bescheid. Und Ulf brauchte sie gar nicht erst um Hilfe zu bitten. Der hatte sich schon vor Jahren gegen den Familienbetrieb entschieden. Es hatte damals einen riesigen Streit zwischen ihm und dem Vater gegeben.
»Für wen hab ich das alles hier dann aufgebaut?«, hatte Kalli seinen Sohn angeschrien, als dieser ihm mitteilte, lieber zur Bundeswehr zu gehen als in die Fußstapfen des Vaters zu treten.
Es würde ihr also wohl nichts anderes übrig bleiben, als Hof und Ländereien zu
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