Friesenrache
kann der Kommissar uns dann ja vielleicht im Gegenzug etwas zu Friedhelm erzählen. Nach all dem, was zwischen ihm und Kalli in der letzten Zeit so abgegangen ist, finde ich ihn mindestens ebenso verdächtig wie Barne.«
Marlene stimmte ihm zu. Sie verteidigte weiterhin ihre Meinung, der ehemalige Dorfbewohner habe die Wahrheit gesagt, und da kam ihr ein weiterer Verdächtiger gerade recht.
Das Essen wurde serviert und ihre Unterhaltung dadurch abermals unterbrochen. Die Bedienung behielt recht; Haie war mehr als begeistert von der Pizza.
»Wie bekommt Ihr Koch den Teig nur so hin?«
Er kochte selbst leidenschaftlich gern und war stets daran interessiert, seine eigenen Kochkünste zu perfektionieren.
»Ein wenig Olivenöl hinzugeben«, flüsterte ihm die Kellnerin verschwörerisch zu und legte dabei den Zeigefinger an ihre Lippen, als verrate sie ihm ein Staatsgeheimnis.
»Das hätte ich dir auch sagen können«, prahlte Tom, nachdem die Bedienung sich in die Küche begeben hatte, um dem Koch das Lob zu überbringen.
»Du?« Haie blickte den Freund erstaunt an. Bisher hatte er Toms Kochkünste als eher bescheiden eingestuft. Und selbst das war noch eine übertriebene Bezeichnung für das, was der Freund in seinen Töpfen zusammenrührte. Das letzte Mal, als er von ihm zum Essen eingeladen worden war, hatte Tom ein Fertiggericht aufgewärmt. Hühnerfrikassee. Das gummiartige Fleisch, das in einer sämigen Soße schwamm, wäre ihm beinahe im Hals stecken geblieben.
Zum Glück hatte Tom Marlene kennengelernt. Sie war eine grandiose Köchin und konnte selbst aus den einfachsten Zutaten ein köstliches Mahl zaubern. Oft holte Haie sich Ratschläge bei ihr. Sie besaß die seltene Gabe, durch ein klein wenig Oregano hier, ein klein wenig Safran da aus einem Gericht ein Gedicht zu machen. Davon konnte bei Toms Mahlzeiten nicht die Rede sein. In solchen Dingen war er eher ein Pragmatiker. Schnell und unkompliziert musste es gehen. Deswegen bezog er seine Kenntnisse über die Zubereitung eines vorzüglichen Pizzateigs auch nicht aus eigenen Erfahrungen, sondern aus einer Kochsendung, die er neulich zufällig im Fernsehen angeschaut hatte, wie er kundtat.
Haie grinste. Es war genau dieser Wesenszug, den er an seinem Freund so schätzte, der niemals auch nur im Traum auf die Idee gekommen wäre, sich mit fremden Federn zu schmücken. Es war eine von vielen bemerkenswerten Charaktereigenschaften, die Tom in seinen Augen zu einem liebenswerten und einzigartigen Menschen machten, und er war froh, ihn zum Freund zu haben.
9
Als Marlene am nächsten Morgen aufwachte, schien die Sonne bereits hell durch das Dachfenster in das Zimmer. Sie drehte sich zur Seite und sah Tom noch tief und fest schlafen.
Es war spät geworden am gestrigen Abend. Sie hatten noch ausgiebig über die Verdächtigen im Fall Kalli Cars tensen gesprochen und dabei das ein oder andere Glas Wein getrunken. Insgesamt hatten sie vier Flaschen über den Abend verteilt geleert und waren nicht mehr ganz nüchtern zum Hotel zurückgewankt. Zumindest die Männer.
An eine rauschende Liebesnacht war natürlich nicht mehr zu denken gewesen. Tom hatte bereits schnarchend im Bett gelegen, als sie aus dem Badezimmer gekommen war.
Sie stand leise auf und trat ans Fenster. Der Blick war atemberaubend. Die Sonne streute glitzernde Zauberpunkte auf die gekräuselte Wasseroberfläche der Nordsee. Wie ein kostbarer Teppich, welcher über und über mit Diamanten besetzt war, wirkte das endlos erscheinende Meer. Möwen zogen erhabene Kreise am wolkenlosen Himmel, dessen strahlendes Blau sich in der unendlichen Weite mit dem des Meeres vereinigte. Am liebsten hätte sie den Augenblick für immer festgehalten. Ihr fiel das Bild aus der Galerie in Oldsum ein. Der Maler hatte in seinem Kunstwerk eine ganz ähnliche Stimmung eingefangen. Sie zog sich beinahe geräuschlos an und machte sich auf den Weg zu dem Atelier, das sie gestern Abend auf dem Heimweg in der Fußgängerzone entdeckt hatte.
Der Morgen empfing Marlene mit klarer, würziger Seeluft, als sie das Hotel verließ. Sie atmete tief durch. Trotz des Sonnenscheins war es verhältnismäßig kalt. Sie knöpfte ihren Mantel zu und band ihren Schal fest um den Hals. Auf der Strandpromenade spazierten nur vereinzelt Leute; zum Teil mit Kindern, deren Lachen die Stille des Morgens durchschnitt.
Sie stieg zunächst die wenigen Stufen zum Strand hinunter. Wenigstens
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