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Friesenrache

Friesenrache

Titel: Friesenrache Kostenlos Bücher Online Lesen
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Allerdings machte ihn diese Tatsache auch wieder um verdächtig. Vielleicht steckte hinter seinem Fernbleiben doch mehr als nur die Wut auf den geldgierigen und Gerüchte verbreitenden Bruder? Irmtraud Carstensen besaß zumindest den Anstand, dem Schwager die letzte Ehre zu erweisen. Dabei mussten auch ihr die Streitigkeiten nahegegangen sein. Das jedenfalls war der Eindruck, den er bei seinem Besuch der beiden gewonnen hatte.
      Die ersten Schnäpse wurden ausgeschenkt, und die Lautstärke in dem kleinen Gastraum schwoll beachtlich an. Tom schüttelte beim Anblick der anderen Gäste verständnislos den Kopf. Während die trauernde Witwe mit gesenktem Blick und hängenden Schultern dasaß, unterhielt man sich um sie herum prächtig. Er fragte sich, warum sie sich diesem seltsamen Schauspiel aussetzte. Nur weil es Tradition war? Weil es sich eben so gehörte? Wer war nur jemals auf die Idee des sogenannten Leichenschmauses gekommen? Er blickte zu Haie, der gerade seinen Teller hob, um sich ein drittes Stück Kuchen reichen zu lassen.
      »Also, wenn ich sterbe, will ich auf gar keinen Fall, dass sich die Leute den Bauch auf mein Ableben hin vollschlagen«, zischte er ihm zu. »Und erst recht keinen Alkohol.« Er wandte seinen Blick zum Nachbartisch, an dem bereits die dritte Runde Hochprozentiges ausgeschenkt wurde. Der Freund, der diese Art von Zusammensein nach einer Beerdigung nicht anders gewohnt war, schaute ihn verwundert an, doch seine Frage nach dem Warum wurde jäh unterbrochen.
      Friedhelm Carstensen riss die Tür zur Gaststube auf und torkelte durch den Raum. Anscheinend hatte er seinen ganz persönlichen Abschied von seinem Bruder gefeiert und dabei tief in das eine oder andere Glas geblickt. Wie zur Bestätigung, dass dieser Tag für ihn Anlass zur Freude gab, forderte er die anwesenden Gäste, die bei seinem polternden Auftritt augenblicklich verstummt waren, auf, kräftig zu feiern.
      »Heute ist ein Tag der Freude«, lallte er fröhlich in die Runde, »mein Bruder hat endlich bekommen, was er verdient. Los lasst uns darauf trinken.« Er griff wahllos nach einem der Gläser, die überall zahlreich auf den umliegenden Tischen standen. Tom beobachtete ebenso wie all die anderen Gäste das peinliche Schauspiel. Eigentlich sah er es als des Kommissars Pflicht, dem beschämenden Auftritt Friedhelm Carstensens ein Ende zu bereiten. Doch Thamsen saß wie angewachsen auf seinem Stuhl und verfolgte gebannt das Geschehen. Wahrscheinlich wartete er auf die Reaktionen der anderen Gäste, von denen er sich neue Erkenntnisse für den Fall erhoffte. Doch die Männer und Frauen hockten bewegungslos an den Tischen. Ein betretenes Schweigen legte sich über den Raum.
      Plötzlich sprang Irmtraud Carstensen wie vom Blitz getroffen von ihrem Stuhl auf, der durch die heftige Bewegung polternd zu Boden fiel. Anscheinend hatte es einige Minuten gedauert, bis ihr bewusst geworden war, dass es ihr Mann war, der betrunken in der Gastwirtschaft herumpöbelte.
      »Komm Friedhelm, lass gut sein.« Sie versuchte, ihn am Arm in Richtung Tür zu zerren, doch er riss sich immer wieder los. Hilflos blickte die Ehefrau durch die Gaststube, dabei versuchte sie immer wieder erneut, ihren betrunkenen Mann zum Ausgang zu ziehen. Thamsen beobachtete, wie Sophie Carstensen ihren Sohn leicht mit dem Ellenbogen anstieß, der sich daraufhin erhob und zwischen den Tischen hindurch zu seinem Onkel zwängte.
      »Nu komm man.« Er hakte sich bei ihm unter und zog ihn zur Tür. Der Betrunkene bewegte sich durch den starken Griff des Neffen zunächst einige Schritte Richtung Ausgang, dann aber schien er plötzlich wahrzunehmen, wer an seiner Seite war. Mit einem kräftigen Ruck befreite er sich aus der Umklammerung und stieß Ulf Carstensen von sich. Der stolperte rückwärts gegen einen Tisch. Das Geschirr darauf schepperte laut.
      »Geh mir weg!«, schrie Friedhelm Carstensen. »Bist auch nicht besser als dein Alter.«
      Er spuckte auf den Boden. »Dir geht's doch auch nur ums Geld! Geld, Geld, Geld! Den feinen Herrn Advokaten hast du ja auch schon eingeladen!«
      Er wankte ein paar Schritte auf den Tisch zu, an dem der Rechtsanwalt und die Witwe wie versteinert auf ihren Stühlen saßen. Sophie Carstensens Augen waren weit aufgerissen. Ihr Gesicht war kreidebleich. Sie schien nicht glauben zu wollen, was sich wenige Meter von ihr entfernt abspielte. Befand sie sich tatsächlich auf der Trauerfeier ihres verstorbenen

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