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Friesenrache

Friesenrache

Titel: Friesenrache Kostenlos Bücher Online Lesen
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Konnte sie Tom noch vertrauen? War sie bereit, ihm zu verzeihen? Ihre Gedanken hatten sich immer wieder im Kreis gedreht. Sie war zu keinem Ergebnis gekommen. Zu allem Übel jedoch vermisste sie ihn. Das machte die ganze Situation nicht gerade einfacher für sie.
      Um sich abzulenken, war sie in die Unibibliothek gefahren. Als sie vor dem gewaltigen Gebäude der ›Staats- und Universitätsbibliothek‹ gestanden und den Schriftzug des Namensgebers der Bibliothek gelesen hatte, war es ihr wie eine Ewigkeit vorgekommen, seit sie das letzte Mal hier gewesen war. Doch Frau Grau, die ältere Dame von der Ausleihe, bei der Marlene während ihres Studiums zur Stammkundschaft gezählt hatte, erkannte sie sofort wieder und winkte ihr lächelnd zu. Und auch die mannshohen Regale mit den unzähligen Büchern und Zeitschriften begrüßten sie, als sei sie niemals fort gewesen. Langsam schritt Marlene durch die Gänge, bis sie die Abteilung für Geistes- und Kulturwissenschaften erreichte. Hier fühlte sie sich heimisch. Die Bücher strahlten eine solche Ruhe aus, sie griff wahllos eines heraus und setzte sich an einen der Lesetische am Fenster.
      Sie wusste nicht, wie lange sie schon so dagesessen und auf den Umschlag des Buches gestarrt hatte, als plötzlich ein Mann neben sie trat.
      »Entschuldigung, aber dürfte ich fragen, was du an dem Bild so faszinierend findest?« Wie unter Studenten üblich, duzte er sie.
      Marlene hob fragend den Blick. Der dunkelhäutige, junge Mann deutete auf das Buch und gestand, sie bereits seit einer ganzen Weile zu beobachten. Sie errötete sanft und stammelte: »Oh, also wenn Sie das Exemplar benötigen …« Er schüttelte seinen Kopf und wiederholte seine Frage. Erst jetzt las sie bewusst den Titel des Buches. ›Wer gab dir, Liebe, die Gewalt.‹ Die rötliche Farbgebung ihres Gesichtes intensivierte sich. Wahrscheinlich zog der Mann falsche Schlüsse.
      »Da muss ich mich vergriffen haben«, erklärte sie rasch und sprang auf. Die Situation war ihr unangenehm. Sie hatte doch nur ihre Ruhe haben wollen. Auf den Titel der Lektüre hatte sie gar nicht geachtet.
      »Was genau suchst du denn?«
      Ruhe, hätte sie am liebsten geantwortet. Und eine Lösung für meine Beziehungsprobleme, doch stattdessen sagte sie: »Was über Unterirdische.«
      Er konnte ihr ohnehin nicht helfen, weder bei ihren Problemen mit Tom, noch bei der Suche nach entsprechender Literatur. So wie er aussah, studierte er wahrscheinlich Journalismus oder etwas Ähnliches. Das würde auch seine ungeniert neugierige Art erklären, dachte sie. Doch zu ihrem Erstaunen grinste er wissend und fragte, ob sie eher an nordischen Unterirdischen oder an jenen aus der griechischen Mythologie interessiert sei.
      »Da gab es auch welche?«
      »Selbstverständlich. Denk nur an Hades.«
      Ihr Gesicht glühte förmlich. Wie konnte sie nur solch eine dämliche Frage stellen? Natürlich war ihr die griechische Unterwelt bekannt. Dass aber auch ihr Gegenüber sich bei den Göttern und Sagengestalten bestens auskannte, gab ihr zu denken. Sollte ihre weibliche Intuition sie etwa im Stich gelassen haben? Sie stellte ihn auf die Probe.
      »Ich suche etwas über Otterbankies.«
      Zu ihrer Verwunderung grinste er nur noch mehr. Er stieß einen leichten Pfiff aus, ehe er antwortete: »Da hast du aber Glück. Gerade neulich erst ist mir ein Buch von Philipsen aufgefallen. Warte, ich hole es.«
      Mit dynamischen Schritten verschwand er zwischen den Regalen, um kurze Zeit später mit einem triumphierenden Lächeln und einem schmalen Buch in den Händen wieder aufzutauchen.
      »Hier sind etliche Begegnungen aufgezeichnet.« Er reichte ihr das Werk, dem man sein Alter und einen regen Gebrauch bereits ansah.
      »Kann ich dir sonst noch irgendwie helfen?«
      Sie heftete ihren Blick auf das Buch und schüttelte den Kopf. Es war ihr peinlich, voreilige Schlüsse über ihn gezogen zu haben, und sie fragte sich, ob sie andere Situationen vielleicht auch falsch eingeschätzt hatte. War es dem ehemaligen Dorfbewohner gelungen, sie zu täuschen? Oder hatte Barne Christiansen tatsächlich nichts mit Kalli Carstensens Tod zu tun? Und was war mit dem Anruf von Toms Exfreundin? Hatte Monika wirklich die Wahrheit erzählt? Wieso hatte sie überhaupt angerufen? Marlene wurde plötzlich unsicher. Die Begegnung mit dem Fremden stellte ihre sonst so untrügliche Wahrnehmung infrage. Sie musste sich dringend mit jemandem

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