Friesenrache
Novelle bezeichnete.
»Dirk, kommst du mal?«
Sein Kollege von der Spurensicherung stand in der Haustür. Er folgte ihm in die Garage.
»Die hier haben wir unter der Kofferraumabdeckung gefunden.« Der Beamte hielt ein Paar vollkommen verdreckte Gummistiefel in die Höhe. »Sieht aus wie Ackerboden«, mutmaßte Thamsen und warf einen fragenden Blick auf Barne Christiansen, der ihnen nachgegangen war. Der schluckte erst einmal kräftig, ehe er behauptete, die Stiefel letzte Woche im Watt getragen zu haben.
»Und wieso lagen sie unter der Abdeckung?«
Tom hatte Haie nach ihrem Besuch bei Sophie Carstensen zu Hause abgesetzt.
Eine weitere Überprüfung der Fahrzeuge von den Stammtischbrüdern machte in seinen Augen wenig Sinn. Für ihn waren diese Nachforschungen verschwendete Zeit. Wenn der Mörder wirklich unter ihnen zu finden war, dann hatte er den Schaden an dem Pkw unter Garantie längst reparieren lassen.
»Außerdem wird er das heimlich gemacht haben und uns wohl kaum davon erzählen!«, hatte er den Freund schließlich überzeugt.
Und sowieso hatte er keine Lust auf weitere Befragungen gehabt, wollte lieber allein sein und auf Marlenes Anruf warten. Dass sie anrufen würde, war für ihn nach den Schilderungen des Freundes über das gestrige Telefonat gewiss. Es war nur eine Frage des Zeitpunkts, und den wollte er unter gar keinen Umständen verpassen.
So saß er im Wohnzimmer und starrte beharrlich auf den schwarzen Apparat, der auf einer halbhohen Anrichte stand. Nun läute schon, versuchte er das Telefon durch den Einsatz scheinbar telepathischer Kräfte zum Klingeln zu bewegen. Doch das Gerät blieb stumm. So sehr er auch seine Blicke in die Oberfläche des kleinen schwarzen Kastens bohrte, dieser schwieg eisern.
Mit zunehmender Wartezeit schweiften seine Gedanken mehr und mehr ab. Er dachte an den Besuch bei der Witwe des Ermordeten und überlegte, warum sich diese so merkwürdig verhalten hatte. Gut, sie trauerte um ihren Mann, und der peinliche Auftritt ihres Schwagers auf der Trauerfeier war ihr sichtlich unangenehm gewesen, als Haie sie darauf ansprach.
»Er hat's sicherlich nicht so gemeint«, hatte sie dennoch versucht, Friedhelms unmögliches Benehmen zu entschuldigen. »Ich glaube, Kallis Tod nimmt ihn schon sehr mit.«
Das hingegen glaubte Tom weniger. Und auch der Sohn des toten Landwirts schien nicht wirklich um seinen Vater zu trauern. Er sei gleich nach der Trauerfeier zur Arbeit gefahren, antwortete Sophie Carstensen auf die Frage, warum Ulf nicht bei ihr sei.
»Fährt er immer noch den alten weißen Mercedes?«, hatte Haie gefragt.
»Der Junge hängt doch so an dem Wagen«, hatte sie lächelnd geantwortet und angemerkt, dass nun aber sicherlich bald ein neues Fahrzeug hermüsse.
»Wieso?« Tom war hellhörig geworden.
»Lange macht der es nicht mehr. So alt und verbeult, wie der schon ist.«
Auf der Rückfahrt hatten die beiden Freunde darüber spekuliert, ob Ulf der Mörder seines Vaters sein könnte. »Ich weiß nicht«, hatte Haie skeptisch bemerkt. »Was für ein Motiv sollte er denn gehabt haben?«
Darauf hatte er keine Antwort geben können. Aber vielleicht gab es Probleme zwischen Kalli Carstensen und seinem Sohn. Eventuell ein lang gehegter Streit oder sonstige Differenzen.
»Wäre sogar verständlich«, murmelte Tom in Gedanken, während er seine Sitzposition vor dem Telefon veränderte. Seine linke Pobacke fühlte sich aufgrund der unbequemen Haltung ganz taub an.
Nach all dem, was er zwischenzeitlich über das Opfer erfahren hatte, würde es ihn nicht wundern, wenn es auch innerhalb der Vater-Sohn-Beziehung zu Spannungen gekommen war. Nur, was konnte einen so wütend machen, dass man jemanden dafür umbrachte? Und dann auch noch den eigenen Vater? Jahrelange seelische Grausamkeit? Körperliche Züchtigung? Marlene hatte doch vermutet, der ermordete Landwirt könne vielleicht gewalttätig gewesen sein.
Sein Blick hing immer noch an dem schwarzen Apparat. Ich könnte sie doch ganz unverbindlich anrufen und um ihren Rat in der Angelegenheit fragen, dachte er und fuhr erschrocken auf, als plötzlich ein schrilles Geräusch die grüblerische Stille durchschnitt. Doch es war nicht das erhoffte Klingeln des Telefons, sondern das Läuten der Türglocke.
Tom ließ sich davon jedoch nicht entmutigen und schöpfte sofort neue Hoffnung. Vielleicht war es Marlene, die dort vor der Tür
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