Friesenrache
den perfekten Mord. Das stand für ihn fest. Jeder Täter hinterließ Spuren, auch wenn sie noch so klein und winzig waren. Hautpartikel, Haare, Stofffasern. Selbst an der übel zugerichteten Leiche Kalli Cars tensens hatte der Rechtsmediziner noch Nachweise gefunden. Nur gab es bisher keinerlei Vergleichsmaterial. Er stand auf und zog den Plastikbeutel mit den Haaren des Verdächtigen aus seiner Jackentasche. Er hatte über die beschlagnahmten Stiefel ganz vergessen, das Tütchen seinen Kollegen zu geben. Vielleicht seid ihr des Rätsels Lösung, dachte er und blickte auf die dunklen Strähnen. Gleich morgen lasse ich euch ins Labor bringen.
Er trat ans Fenster und war erstaunt, wie finster es war. Ein schwarzes Tuch hatte sich über die Erde gespannt und hüllte alles in eine absolute Dunkelheit. Ähnlich düster hatte es in dem Maisfeld sein müssen. Wie war es dem Mörder gelungen, sich dort zurechtzufinden? Hatte er eine Taschenlampe dabeigehabt? Wie aber war es ihm dann möglich gewesen, den schweren Körper zwischen den Stauden hindurchzuschleifen?
Er versuchte angestrengt, in der tiefschwarzen Kulisse hinter der Scheibe etwas auszumachen, Umrisse, Lichtpunkte, hellere Nuancen, doch die Finsternis schien undurchdringlich. Solch eine Dunkelheit hatte er kaum jemals erlebt. Vor seinem Schlafzimmerfenster daheim leuchtete die ganze Nacht die Straßenlampe, und selbst wenn er die Jalousie herunterließ, drangen dünne Lichtstrahlen in das Innere des Zimmers und malten abstruse Schatten an die Wände. Häufig lag er wach und rätselte, welcher Form sie ähnelten. Manchmal war es ihm möglich, Tiere oder Bäume den Umrissen an der Wand zuordnen zu können, aber oft waren es nur abstrakte Bilder, die der Schein der Lampe auf die Tapete zeichnete. Er zog die muffige Gardine vor das Fenster und ging ins Bad. Aus seiner Badetasche holte er Zahnbürste und Zahnpasta, dann begann er, mit kreisenden Bewegungen sein Gebiss zu reinigen.
Die minzfarbene Creme war gerade richtig aufgeschäumt, als sein Handy klingelte. Eilig spuckte er den Schaum in das Waschbecken und rannte zum Bett. Auf dem Nachttisch lag sein Telefon, das Display blinkte ungeduldig auf.
»Thamsen?« Er schluckte die Reste der Zahnpasta würgend hinunter.
Es war die Dienststelle.
»Wir haben eine weitere Leiche. Ulf Carstensen hat seine Mutter stranguliert auf dem Dachboden gefunden.«
»Mist«, entfuhr es ihm. Und das ausgerechnet jetzt, wo er in diesem heruntergekommenen Hotel festsaß. Er erkundigte sich, welche Maßnahmen die Kollegen getroffen hatten, und wies dann an, man solle auf keinen Fall etwas unternehmen, ehe er wieder da sei.
»Ich nehme morgen früh gleich die erste Fähre. Bis dahin keine weiteren Veranlassungen.«
Nachdem Tom seinen ersten Schock über das Erscheinen seiner Exfreundin überwunden hatte, verspürte er eine gewisse Verärgerung über ihren unerwünschten Besuch in sich aufsteigen. Für ihn war sie der Grund seiner aktuellen Beziehungsprobleme. Dass diese zwar eher in seiner Unehrlichkeit gegenüber Marlene begründet waren, verdrängte er vollkommen anlässlich Monikas überraschenden Auftretens.
»Was willst du?«
Ihr Lächeln wich einem Schmollen. »Ist das eine Begrüßung? Nach all den Jahren? Möchtest du mich nicht hineinbitten?«
Er blieb demonstrativ mitten im Hauseingang stehen.
»Eigentlich nicht.« Seine Stimme klang abweisend. Für ihn war das Kapitel Monika abgeschlossen, auch wenn er es sich damals vielleicht etwas zu leicht gemacht hatte. Aber er hatte sie nun einmal nicht mehr geliebt. Sein Handeln war nur die Konsequenz gewesen. Außerdem war das alles Jahre her. Wieso tauchte sie also plötzlich hier auf? Für ihn gab es eigentlich nur einen Grund. Sie hatte die Trennung nicht überwunden und wollte ihn zurückgewinnen. Doch auch wenn ihm das eigentlich schmeicheln sollte, für ihn gab es kein Zurück mehr.
»Ich möchte mit dir reden«, versuchte sie, ihn umzustimmen. »Bitte!«
Mit flehendem Blick schaute sie ihn an. Er glaubte sogar, erste Anzeichen von Tränen in ihren Augen ausmachen zu können. Und obwohl er diese Eigenart bereits früher an ihr gehasst hatte, dass, wenn immer sie ihren Willen nicht durchsetzen konnte, sie auf die Tränendrüse gedrückt und versucht hatte, ihn so unter Druck zu setzen, tat sie ihm aus unerklärlichen Gründen plötzlich leid.
Sie hatte den langen Weg aus Süddeutschland in Kauf genommen,
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