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Friesenrache

Friesenrache

Titel: Friesenrache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: authors_sort
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sollte sie dann leben? Er würde kurz über lang mit ihr darüber sprechen müssen. Vielleicht würde sich ja morgen die Gelegenheit ergeben, in Ruhe ein Gespräch über den Nachlass mit ihr zu führen. Martin Münsterthaler unterstützte ihn gewiss dabei. Jedenfalls hatte er das auf der Trauerfeier bereits angedeutet. Der Anwalt war seiner Mutter wohl gesonnen, kannte sie seit der Schulzeit. Wenn sie nicht immer so zurückhaltend und verschlossen gewesen wäre, hätten die beiden womöglich gute Freunde sein können. Von Martin Münsterthalers Seite aus sprach sicherlich nichts dagegen. Ulf hatte bei den Besuchen des Anwalts den Eindruck gewonnen, dass der ältere Mann sich durchaus seiner Mutter zugeneigt fühlte. Natürlich konnte er sich auch getäuscht haben, aber ein guter Freund wäre momentan für seine Mutter eine enorme Bereicherung.
      Er konnte schließlich nicht ständig bei ihr sein, und wahrscheinlich würde sie mit ihm, ihrem Sohn, auch nicht über all ihre Probleme und Sorgen, die sie belasteten, sprechen wollen. Aber dass sie mit jemanden über ihren Kummer sprechen musste, hielt er für unumgänglich. Ansonsten würde sie daran zugrunde gehen. Zu lange hatte sie bereits geschwiegen.
      Als er die Hofeinfahrt passierte, sah er im Wohnzimmer Licht brennen. Er hatte befürchtet, sie könne nicht daheim sein, denn als er sie vor gut einer Stunde telefonisch versuchte zu erreichen, hatte sie nicht abgehoben. Aber vielleicht war sie auch eingeschlafen und hatte das Läuten des Telefons nicht gehört.
      Er schloss die Tür auf und trat in den düsteren Flur.
    Für Notfälle besaß er noch einen Schlüssel, den seine Mutter ihm ohne das Wissen seines Vaters hatte nachmachen lassen und den er nun nutzte, um ins Haus zu gelangen. Falls sie noch schlief, wollte er sie nicht durch sein Klopfen an der Haustür wecken. Leise schlich er durch den engen Gang zum Wohnzimmer. Die Tür war nur angelehnt. Vorsichtig öffnete er diese einen Spalt weit.
      Der Raum war jedoch leer. Auf dem Sofa lag die karierte Wolldecke ordentlich zusammengefaltet, neben den adrett zurechtgeschüttelten Zierkissen. Er ging in die Küche. Auch hier war alles gründlich aufgeräumt.
      Sie wird doch wohl nicht schon ins Bett gegangen sein, überlegte er und blickte auf die Küchenuhr, welche über der Eckbank hing. Es war halb acht.
      Er löschte das Licht und trat wieder in den dunklen Flur. Ein ungutes Gefühl beschlich ihn plötzlich. Er hätte es nicht in Worte fassen können, aber die Stille im Haus machte ihm Angst. Normalerweise waren immer irgendwelche Geräusche zu hören, wenn seine Mutter daheim war. Meist lief das Radio oder zu späterer Stunde der Fernseher. Dass überhaupt kein Laut vernehmbar war, kam ihm merkwürdig vor.
      Er lief zur Treppe und stieg ins Obergeschoss, in dem sich das Schlafzimmer seiner Eltern befand. In seinem alten Jugendzimmer, das sich gleich gegenüber dem Elternschlafzimmer befand und welches seine Mutter nach seinem Auszug zu einem Gästezimmer umgestaltet hatte, brannte ebenfalls Licht. Auf einem runden Beistelltisch neben dem Gästebett lagen aufgeschlagen alte Fotoalben aus seiner Kinder- und Jugendzeit. Er hatte sie damals absichtlich nicht mitgenommen, um nicht an seine Vergangenheit erinnert zu werden.
      Nun warf er einen Blick auf die Bilder, die ihn bei seiner Einschulung zeigten. Stolz hielt er eine bunte Schultüte in die Kamera, auf dem Rücken ein übergroßer Tornister. Er musste grinsen, als er sah, dass er zu blauen Bermudashorts grüne Kniestrümpfe trug. Das bunte T-Shirt war viel zu kurz. Seine Mutter hatte ihn damals nicht überreden können, das neue karierte Hemd, welches sie ihm extra für diesen Anlass gekauft hatte, anzuziehen. Er hatte unnachgiebig darauf bestanden, sein altes, verwaschenes Lieblings-Shirt zu tragen und hatte sich, wie unschwer auf dem Bild zu erkennen war, letztendlich auch durchgesetzt.
      Er schlich zur Schlafzimmertür und öffnete sie. In dem Raum war es dunkel, tastend suchte er nach dem Lichtschalter. Noch ehe er den Kippschalter unter seinen Hand fühlen konnte, flüsterte er in die Finsternis hinein: »Mama?«
      Doch als das Licht aufflammte, musste er feststellen, dass seine Mutter nicht in ihrem Bett lag. Die Federdecken waren akkurat zusammen geschlagen und penibelst glatt gestrichen. Hier hatte sich an diesem Abend noch niemand sorgenvoll zwischen den Laken gewälzt.
      Er wurde unruhig, lief durch den Flur und

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