Friesenschnee
fing Angelika wieder damit an. Missgestimmt bügelte Stuhr ihr Ansinnen kurzerhand ab. »Du suchst doch nur einen neuen Vater für das Kind.«
Es blieb eine Zeit lang still auf der Terrasse. Den ersehnten Cognac bot Angelika ihm nicht an, also ließ Stuhr seinen Blick gelangweilt über das Wattenmeer schweifen. Das Wasser ebbte ab, und immer größere Wattflächen taten sich vor Angelikas Grundstück auf. Die Wasserrinne zwischen Amrum und Föhr wurde immer schmaler. Als er letztes Mal bei ihr im Wohnzimmer gesessen hatte, war nur noch ein Rinnsal übrig geblieben, das als letzte Instanz eine Landpartie zwischen den beiden Inseln unterband. Bis dahin würde es aber noch einige Zeit benötigen.
Angelika schien, auf ihrer Liege vor sich hinbrütend, nichts von dem Naturschauspiel mitzubekommen. Kurz aufstöhnend, befreite sie sich von ihrem Oberteil, bevor sie sich wieder seufzend auf die Liege niederließ. Einen begehrenswerten Körper hatte sie, wenn da nur nicht ihre finsteren Gedankenspiele gewesen wären.
Ein Kollege in Bonn hatte ihm seinerzeit unter dem Siegel der Verschwiegenheit ihren Spitznamen verraten: ›Die schwarze Mamba‹. Ein anderer Kollege hatte ihm unter höchster Geheimhaltung einen anderen Kenntnisstand verraten: »Monster.«
So friedlich, wie sie vor ihm lag, schien in diesem Moment der Stille nichts davon zuzutreffen.
Das war genau der richtige Zeitpunkt für einen kleinen Überfall. Stuhr begann zu sticheln.
»Es gibt da einen speziellen Brief von einem gewissen Herrn Rieder aus Bonn. Müsstest du eigentlich kennen, oder?«
Angelikas Antwort klang mehr als gelangweilt. »In Bonn gibt es mehr als 30 Rieder. Welchen meinst du denn von denen?«
Natürlich wusste Angelika genau, dass er ihren ehemaligen Beschäler meinte. Doch Stuhr blieb ruhig.
»Nun, ich meinte eigentlich Dr. Stephan Rieder. Den müsstest du noch gut in Erinnerung haben.«
Die Ruhe, die Angelika behielt, war schon erstaunlich. »Ach, den meinst du. Den habe ich erst mühsam zum Rieder machen und erziehen müssen. Dennoch, mir hat er nie geschrieben. Immer nur Anrufe von seiner Sekretärin.«
Die Art und Weise, wie Angelika seine Vergangenheit so gleichgültig auf ihrer Liege kommentierte, bestärkte ihn in der Ansicht, seine Gegnerin nicht zu unterschätzen. Stuhr kam vorsichtig zur Sache.
»Ja, es gibt einen Brief von deinem Ehepartner an unseren damaligen Chef der Staatskanzlei. Ein freundlicher Brief. Eigentlich ging es nur um den Erwerb eines schön gelegenen Grundstückes an der Westküste von Föhr. Es wird sich doch nicht um dieses Gelände handeln, oder?«
Gelassen nahm Angelika den Schlagabtausch auf.
»Nein. Wie kommst du denn darauf? Allein ich bin im Grundbuch eingetragen. Stephan hat mit diesem Anwesen nie etwas am Hut gehabt. Der soff lieber in der Bonner Altstadt.«
»Das mag rechtlich so sein, aber in diesem Brief ging es noch um ein zweites Anliegen von ihm: mich in die Dienstunfähigkeit zu treiben.«
Auf der Liege regte sich zunächst nichts. Erst nach geraumer Zeit erfolgte eine abgeklärte Antwort.
»Was ist denn schlecht daran, befreit vom Joch des Dienstes, hier an der Nordsee die Seele baumeln zu lassen und sich gemeinsam mit mir auf das Wesentliche zu konzentrieren? Sei deinem Stephan Rieder doch schlicht dankbar.«
»Das kann ich nicht. Wer scheidet schon gerne unfreiwillig aus dem Job? Im Übrigen war es ›dein‹ Stephan.«
Angelika fuhr jetzt unerwartet von der Liege hoch, und nicht nur die gepressten Lippen ihres Mundes, sondern auch die harten Spitzen ihrer Brüste verrieten ihm, dass sie äußerst angespannt war.
»Nein, es gab nie ›meinen‹ Stephan. Das hat er oft bitter beklagt. Er hat mir damals gegeben, was ich brauchte: einen Familienvorstand und soziale Sicherheit.«
Ungewollt prustete Stuhr los. »Von wegen soziale Sicherheit. Als Bundesbeamtin lebst du doch wie in Abrahams Schoß. Selbst wenn es so wäre, wer außer dir kann diesen Mann denn sonst veranlasst haben, mich aus dem Weg zu räumen?«
Jetzt stand Angelika endgültig auf. Sie näherte sich ihm lächelnd und stellte sich barbusig vor ihm auf. »Vielleicht war ich es wirklich? Kannst du dir nicht vorstellen, dass ich die verbleibende Zeit meines Lebens lieber mit einem verträumten Chaoten wie dir als mit einem eiskalten Machtmenschen verbringen wollte, den selbst in seinem politischen Wirken nur die Entwicklung der Aktienkurse und die Anzahl der Whiskyflaschen in seiner Bar interessierten?
Weitere Kostenlose Bücher