Friesenschnee
kommen?«
Hansen ging nur auf die zweite Frage ein, denn das hatte er inzwischen polizeilich eingefädelt. »Das ist ein Kinderspiel. Du fragst einfach am Bühneneingang nach dem Inspizienten Jerzy Linsky. Er wird dich einweisen.«
Das Gesicht von Stuhr verriet, dass er unschlüssig war. Aber Hansen war sich sicher, dass er bereits Blut geleckt hatte. Darauf wies zumindest seine Nachfrage hin. »Ist wenigstens Oberkommissar Stüber im Schauspielhaus vor Ort im Einsatz?«
Kommissar Hansen antwortete ausweichend. »Das ist eine lange Geschichte, die nicht in einem Satz beantwortet werden kann. Gib dir einen Ruck, Stuhr.«
Endlich erfolgte die ersehnte Antwort. »Ich kann es ja einmal versuchen. Aber versprechen kann ich nichts. Doch jetzt muss ich Jenny heimholen. Sie werden ihre Requisiten inzwischen abgeladen haben. Prost Kaffee.«
Der Kommissar prostete erleichtert zurück.
In aller Seelenruhe schlürfte Stuhr seinen Kaffee noch aus, um dann den leeren Pappbecher achtlos in den Mülleimer zu befördern. Danach zog er seinen Kragen hoch und trottete los in Richtung Schauspielhaus.
Seine Körperhaltung ließ allerdings nicht darauf schließen, dass er morgen mit einem Erfolg rechnete.
Hansen schon, denn es war vermutlich seine letzte Chance.
Frisia cantat
»Idioten. Weg da!« Pimmels Fluchen und die quietschenden Bremsen ließen schlagartig Ollis Augen aufreißen. Trotz des unangenehm schnürenden Drucks der Sicherheitsgurte, die seinen Kopf vor dem Aufschlag auf das Armaturenbrett bewahrten, konnte er im Licht der Scheinwerfer flüchtig mehrere dunkel gekleidete tänzelnde Gestalten ausmachen, die Pimmel offensichtlich zur Notbremsung gezwungen hatten. Als der Wagen endlich stand, war der Spuk auch schon beendet. Pimmel schlug wütend mit der Faust auf das Lenkrad.
Angespannt drückte Olli seinen Rücken in die Ledersitze. Die ganze Fahrt von Hamburg nach Föhr hatte sich ausgesprochen spracharm gestaltet. Immer wieder war er unruhig auf den weichen Ledersitzen des Mercedes hin und her gerutscht. Während der Überfahrt mit der Fähre nach Föhr hatten beide angespannt im Sitz verharrt. Nun wurde es vermutlich ernst, denn Pimmel wies am Rande des Lichtkegels der Scheinwerfer mit dem Finger auf ein kleines, verstecktes Hinweisschild am Straßenrand hin.
»Wir sind in Borgsum. Hier geht es zur Lembecksburg. Gleich sind wir da.« Mit kräftigem Druck auf das Gaspedal beschleunigte Pimmel den Mercedes wieder und bog mit heftigem Schwung von der Landstraße in einen kleinen Weg hinein, der vor dem Eingang zu einem gewaltigem Grashügel endete. Pimmel stoppte jetzt, aber er ließ die Scheinwerfer an.
Olli verstand das nicht. »Wo ist denn hier eine Burg?«
Pimmel grinste, bevor er die Zündung schloss und bereitwillig Auskunft gab. »Die Lembecksburg? Die ist längst weg. Vielleicht hat es die auch nie gegeben. Man vermutet, dass es sich bei dem Graswall um die Reste einer Ringburg aus der Wikingerzeit handelt. Palisaden und so. Weiß ich allerdings auch nicht so genau.«
Ollis Wissensdurst war aber noch nicht befriedigt. »Und was treibt uns dann an diesen Ort?«
Erstaunt sah ihn Pimmel an, bevor eine Erklärung folgte. »Der Friesenschnee. Kokain. Und natürlich die Verrückten von eben. Hier auf der Insel gibt es eine uralte Tradition, dass sich konfirmierte junge Männer abends zu Saufgelagen treffen, vermutlich, um nicht die Abende mit den Eltern und Großeltern im Wohnzimmer verbringen zu müssen. Wegen der Tageszeit haben sie sich Hualewjonken genannt, Halbdunkle oder Halbschatten, je nach Übersetzung. Sie sind als Traditionsgruppe bei den Insulanern beliebt, weil die sich an ihre eigene stürmische Jugend erinnert fühlen. Sie genießen auf Föhr deshalb eine ziemliche Narrenfreiheit, egal ob sie sich zum Grillen an der Bushaltestelle oder zum Absinthsaufen an alten Kultstätten treffen.«
Das verstand Olli nicht. »Und was hat das mit unserer Reise zu tun?«
Lächelnd klärte ihn Pimmel auf. »Was lag näher als die Idee, für meine Zwecke einen Utersumer Ableger der Hualewjonken zu erfinden und für kleines Geld aufzupäppeln. Eine bessere Tarnung für meine Geschäfte auf der Insel Föhr kann es doch überhaupt nicht geben, oder?«
Über diese Offenheit von Pimmel war Olli erstaunt. »Sind denn diese Halbdunklen keine Rabauken? Und wie konnte Robert als Künstler mit denen klarkommen?«
Sorgenvoll nickte Pimmel. »Das Problem hast du richtig erkannt, Olli. Dennoch, Robert hat
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