Friesenschnee
ungenießbar wirkte. Während sich die saufenden Hualewjonken in der Folge bemühten, mit fortschreitender Stimmung ein Lied anzustimmen, fragte Olli vorsichtig bei Pimmel nach.
»Siedlerbowle, was ist das denn?«
Pimmel antwortete erstaunlich entspannt. Er hatte nicht nur seine Ziele durchgesetzt, sondern das Zeug zeigte auch schon Wirkung. »Siedlerbowle? Die setzt sich im Wesentlichen aus drei Ingredienzien zusammen, die exakt im gleichen Mischungsverhältnis zusammengebracht werden müssen: Erstens zwei Teile Weißwein, zweitens ein Teil Korn, und besonders wichtig drittens: Sonst nix.«
»Sonst nix?« Im Gegensatz zur aufgedrehten Hamburger Barszene schien man hier weniger verwöhnt zu sein.
Doch Pimmel relativierte noch einmal seine Aussage. »Kann aber auch neun Teile Korn und ein Teil Brause sein. Je nachdem, was eben gerade verfügbar ist. Heißt woanders Angler Muck.«
Olli dankte nickend für diese kurze Einführung in nordfriesisches Brauchtum. »Sind wir denn für heute fertig auf Föhr?«
Pimmel nickte zufrieden. »Das schon, aber die letzte Fähre ist weg. Wir trinken jetzt anstandshalber noch einen kleinen Schluck mit den Jungs, und dann geht es ab nach Wyk. Wir werden im Strandhotel übernachten, da können wir uns noch einen Kleinen braten. Morgen muss ich aber fit sein. Kennst du dich in Kiel aus?«
Natürlich kannte sich Olli in der Landeshauptstadt aus. Oft hatte er dort für Stuhr und Hansen ermittelt. Vielleicht ergab Pimmels Wunsch jetzt die Gelegenheit, ihn in Kiel ans Messer zu liefern. »Kiel? Ja, so ein bisschen kenne ich mich dort schon aus. Ich bin oft mit St. Pauli in Kiel gewesen, und anschließend haben wir so manchen Zug gemacht.«
Der zufriedene Blick von Pimmel verwandelte sich jetzt in ein strahlendes Lächeln. »Du bist auch Pauli-Fan? Ich hätte dich glatt für einen HSV-er gehalten. Prost.«
Olli prostete jetzt nicht nur zurück, sondern nahm vorsichtig einen kleinen Schluck vom Gesöff. Der Geschmack erinnerte ihn an Autobenzin. Vermutlich hatten sie den Kanister nicht gesäubert. Mit der Reinlichkeit schien es bei dem Doc nicht allzu weit her zu sein.
Das störte Pimmel jedoch wenig. Seine Stimme klang schon ein wenig schleppend, als er ihm ungefragt den Grund der Fahrt nach Kiel näher vermittelte. »Ich habe ein ganz anderes Problem. Ich muss unbedingt noch einen Text lernen, denn ich habe anstrengende Tage vor mir. Es ist zwar nur eine kleine Rolle, aber meine Theatergruppe spielt übermorgen im Kieler Schauspielhaus. Morgen Nachmittag ist bereits erste Probe. Zudem geht eines der Pakete von hier direkt nach Kiel. Du siehst, das Geschäft boomt.«
Olli begann zu ahnen, dass Pimmel die Reisen der Theatertruppe ›MischMasch‹ dazu nutzte, um unauffällig Rauschgift zu verteilen. Er stimmte zu. »Kein Problem. Dann geht es morgen eben nach Kiel. Ich bin flexibel.«
Der schaurige Gesang der Hualewjonken begann sich mit dem zunehmenden Genuss der Siedlerbowle zu formieren. »Diar maad ik wees…«
Pimmel kannte das Lied, denn er fiel mit in den Refrain ein und sah sich genötigt, für Olli zu übersetzen. »Je, so as det üüb feer, Olli. So ist das auf Föhr.«
Pimmel demonstrierte damit, den örtlichen Singsang zu verstehen. Doch seine Hualewjonken-Truppe ließ nicht nach. Offensichtlich in der Tradition der echten Föhrer Traditionsvereine bemühten sie sich, mit einer Art Sprechgesang in musikalischen Einklang zu kommen. »Min eilun feer skal lewe, triisis huuch. Huuch-huuch-huuch.«
Triisis Huuch musste dreimal hoch bedeuten, denn bei diesem Wort erhoben die finsteren Gestalten dreimal feierlich ihre Becher mit der Siedlerbowle, soweit das die Kettenlänge zuließ.
Die Barden stimmten ein neues Lied an. »Lasteg san wi, tasteg san wi, san– bi´n hinger– feks jong dringer.« Auch dazu lieferte Pimmel prompt die Übersetzung. »Lustig sind wir, durstig sind wir, sind– beim Henker– tüchtige Jungs.«
Wiederum hatte Pimmel den Inhalt der Darbietung verstanden und bedankte sich bei seinen finsteren Helfershelfern.
Olli rückte daraufhin näher an ihn heran. »Wie kannst du nur diesen Berserkern trauen?«
Pimmel lachte kurz auf. Dann hielt er die Hand so vor den Mund, dass seine Worte nur noch an Ollis Ohr dringen konnten. »Keine Angst. Ich habe mir diese Bengel schon gut erzogen. Die bekommen ausschließlich Knete gegen Lieferung, so liegt das gesamte Risiko bei ihnen. Was ich ihnen an Friesenschnee abnehme, ist alles längst vorbestellt,
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