Friesenschnee
Verständnis für meinen Kollegen. Wir spielen meist in kleinen Lokalitäten, dort gibt es keine Licht- und Tontechnik. Deswegen führen wir stets alle Requisiten mit, um die entsprechenden Geräusche zu erzeugen. Und du, Patrick, entschuldige dich bitte.«
Dieser Immel zeigte jedoch keinerlei Reue, sondern blickte kampfeslustig. Jetzt drängten sich Jerzys Kollegen ebenfalls zwischen die Streithähne, und den entstehenden Tumult nutzte Jerzy geschickt, um außer Reichweite seines kräftigen Gegenübers zu gelangen und zum Inspizientenplatz zu fliehen. Zu Stuhrs Erstaunen erhob Jerzy jedoch keinen Anspruch auf sein Pult, sondern verschanzte sich lediglich hinter Stuhrs Rücken.
Auf der Bühne ließ sich Immel nur schwer beruhigen, und erst Jenny gelang es, ihn zur Räson zu bringen. Dennoch blitzten immer wieder feindliche Blicke von Immel zu Jerzy auf. Dicke Freunde würden sie in diesem Leben nicht mehr werden.
Jerzy begab sich jetzt vollends auf den Rückzug. »Ich weiß überhaupt nicht, was ich hier noch soll. Das ist schließlich eine Benefizvorstellung, dafür bin ich nicht zuständig. Du wirst das schon schaffen, Stuhr. Sag Marek, ich bin zum Arzt. Ich brauche dringend Medizin.«
Jerzy machte eine Trinkbewegung, und damit wurde Stuhr klar, um welche Form von Beruhigungsmittel es sich handelte. Dann war er weg.
Stuhr verspürte wenig Lust, die ganze Last alleine zu schultern, die morgen bei ausverkauftem Haus als Inspizient auf ihn drücken würde. Das konnte Kommissar Hansen nicht von ihm verlangen.
Ein Finger tippte ihm vorsichtig von hinten auf die rechte Schulter. Es war Marek, der dieses Mal behutsamer vorgegangen war. »Ich helfe dir. Gemeinsam schaffen wir das, glaube mir. Es ist doch für einen guten Zweck. Wir müssen den Schauspielern helfen. Das mit dem toten Kollegen ist doch schon schlimm genug.«
Im nächsten Moment wurde Stuhrs linke Schulter völlig unerwartet zärtlich gestreichelt. Es war Jenny, die ihn umschlang und anschließend tief in die Augen blickte.
»Wenn du das für uns durchziehst, Helge, dann wirst du die heutige Nacht nicht vergessen. Das verspreche ich dir.« Sie drückte sich an ihn und hauchte ihm einen vielversprechenden zärtlichen Kuss auf die Lippen.
Aus den Augenwinkeln konnte Stuhr gerade noch bemerken, wie Marek aufgrund ihrer Ansage der Schweiß auf die Stirn schoss.
Stuhr nahm Jenny fest in die Arme und hielt sie an sich gedrückt. Es war ihm in diesem schönen Moment egal, was die anderen dachten. Sein Herz pochte.
Oder war es das schlechte Gewissen?
Ins Gesicht
Warum hatte sich Olli nur auf diesen Deal mit Pimmel eingelassen? Gestern Abend im Wyker Strandhotel hatte sich Pimmel glücklicherweise bald ins Bett verabschiedet. Er schien diese Theatersache wirklich ernst zu nehmen.
Für heute Nachmittag hatte ihn Pimmel zum ›Galileo‹ beordert, einem großflächigen Restaurant im inzwischen auch in Kiel angesagten Industrielook. Der große entkernte Innenraum, ein saniertes Altgebäude einer ehemaligen Telefonfabrik, war fast leer, weil das sonnenverwöhnte Publikum auf der Westterrasse die letzten Strahlen der untergehenden Sonne genießen wollte.
Das Ambiente an sich war nicht schlecht, und in diesem noblen Schuppen schien zumindest die Gefahr gering zu sein, auf die Hamburger Schauspieltruppe zu stoßen, die sich vermutlich in den vielen bunten Szenekneipen in der Nähe des Schauspielhauses herumtreiben würde.
Olli ließ sich auf einem Barhocker an einem der hohen Tische nieder und drehte sich zu der im Schatten liegenden Ostterrasse um, die von dem monumentalen alten Kieler Wasserturm beherrscht wurde. Die Dachneigung, auf der Halbedel vor seinem Tod lustgewandelt war, war nicht unerheblich. Es war kaum vorstellbar, dass Halbedel bei klarem Verstand dort oben herumspaziert wäre.
Während Olli freudlos an seinem Cocktail nippte, bemerkte er, wie ein aufgewühlter Pimmel energisch auf die Eingangstür des alten Industriebaus zuschritt. Dann flog die Tür auch schon auf, und wenig später saß ihm Pimmel mit stechendem Blick gegenüber.
»Das hättest du eben im Schauspielhaus mal erleben sollen, Olli. Irgendein durchgeknallter Kalfaktor hat es gewagt, mir ohne Ankündigung meine Pistolenattrappe wegzunehmen. Stell dir vor, der hätte versucht, mir meine richtige Knarre wegzunehmen, dann wäre ich mir nicht sicher, ob ich nicht abgedrückt hätte. Bumm!«
Olli nickte zustimmend, wenngleich er sich lieber nicht vorstellen mochte, wie
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