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Friesenschnee

Friesenschnee

Titel: Friesenschnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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um ein Studentenwohnheim. ›PAX‹ entzifferte er die riesigen Buchstaben auf dem renovierten Vordergebäude, die in der künstlerischen Gestaltung an die Anzeige einer der ersten Digitaluhren erinnerten. Das war doch einmal eine bemerkenswerte Botschaft der Studierenden. Frieden.
     
    Seinen Irrtum bemerkte Olli erst, als er sich dem Eingang näherte und ein schlicht gehaltenes blechernes Hinweisschild des Studentenwerks Kiel musterte. Professor-Anschütz-Haus, benannt nach einem Förderer der Kieler Studenten. Es schien sich bei den riesigen Buchstaben lediglich um die unpathetische Abkürzung PAH zu handeln. Also nichts mit Frieden, sondern ein Kürzel von dem unbestritten kriegerisch klingenden Nachnamen des ehemaligen Ordinarius.
    Vorsichtig trat Olli näher. Im grün-beige gehaltenen Foyer wiesen große Schilder eindeutig auf die beiden Trakte hin: Herrenhaus links und Damenhaus rechts.
    Dem im gleichen Farbstil gehaltenen imposanten Briefkastenkomplex konnte er rasch entnehmen, dass sich Zimmer 408 im Herrentrakt befinden musste. Obwohl es ihn mehr in den Damentrakt lockte, betrat Olli den Fahrstuhl linkerhand. Das war ja wie in einem Kloster.
    Dann stoppte der Lift, und Olli begab sich vorsichtig auf den Flur. Was würde ihn erwarten? Ein auf Knien rutschender bettelnder, mittelloser Drogensüchtiger? Ein Schuss aus dem Revolver? Er würde sehen.
    Nach kurzer Zeit klopfte er an die Tür 408, die sich einen kleinen Spalt öffnete. Nachdem der für ihn unsichtbare Zimmerbewohner sich offenbar vergewissert hatte, dass der Flur sauber war, wurden von einer dunkelhäutigen Hand vorsichtig vier grüne Scheine durch den Schlitz geschoben. Olli nahm das Geld an sich. Die ihm entgegengestreckte Hand öffnete sich jetzt, um die ersehnte Lieferung entgegenzunehmen. Olli händigte das kleine Päckchen aus. Kaum hatte er seine Finger aus dem Türschlitz zurückgezogen, da wurde der Spalt mit massivem Einsatz wieder geschlossen.
    Den folgenden Laufschritten entnahm Olli, dass der Bewohner offensichtlich in wilder Eile das Päckchen zu verstecken versuchte. Wo konnte man in einer Studentenbude heiße Ware verstecken? In der Blumentopferde, im Klokasten, oder gar am Zwirn unterhalb des Fenstersims? Olli hatte sich darüber noch nie Gedanken gemacht. Nachdenklich ging er zurück zum Fahrstuhl. Letztendlich spielten Drogenhändler alle wegen ihrer Geldgier oder Sucht mit ihrer Zukunft.
    Andererseits war es für ihn trotz der schmutzigen Ware eine saubere Arbeit, die ihm Pimmel übertragen hatte. Nicht einmal das Gesicht des Dunkelhäutigen hatte er zu Gesicht bekommen. 2.000 Euro für Pimmel in fünf Minuten. 50.000 in zwei Stunden. Da konnte man schon verstehen, wenn Schwachmaten wie Halbedel daran mitverdienen wollten.
     
    Diese Prozedur setzte sich an allen anderen Orten auf der Liste fort, egal ob es sich um schlichte Mietwohnungen handelte, Halbhäuser oder gar imposante ehrwürdige Gebäude aus der Gründerzeit mit nachträglich angebauten gläsernen Fahrstühlen. An welcher Tür er auch klingelte, immer ging es schnell, und immer blieb es anonym.
    Nur am Ende der Liste musste er vor dem Tor einer mächtigen Villa in der Bismarckallee kapitulieren, weil niemand auf sein Läuten reagierte. Einen Namen gab es nicht, nur ein Kürzel. HO, sollte das mit dem Namen Ohmsen auf dem Laufzettel übereinstimmen?
    Die Kamera, die ihn von einem der Torpfosten observierte, irritierte ihn. Wer konnte das nur sein, der hier residierte?
    Olli entschied sich zum geordneten Rückzug. Schließlich hatte er schon 24 kleine Päckchen ausgeliefert, und die Euronen in seiner Brusttasche juckten inzwischen mächtig. Auf dem Rückweg wirkten die gelblich erleuchteten runden Fenster auf der Dachhaube des alten Wasserturms gegen den inzwischen sternklaren westlichen Nachthimmel wie ein Blick, der von Dämonen stammen könnte. Olli mied wiederum den kleinen Wanderweg um den Turm und wählte wie vorher die Rankestraße, um zum ›Galileo‹ zurückzukehren. Er atmete zweimal tief durch, bevor er in das Restaurant eintrat.
     
    Pimmel saß wie zwei Stunden vorher noch aufrecht am Tisch. Als er Olli erblickte, bedeutete er mit einer kurzen Handbewegung zwei Damen, die sich inzwischen zu ihm gesellt hatten, sich zu entfernen. Ungewollt wischte er dabei die zahlreichen Gläser vom Tisch.
    Je näher Olli auf ihn zuschritt, umso sicherer wurde die Gewissheit, dass Pimmel in der Zwischenzeit ordentlich einen getankt haben musste. Trotz seiner Trunkenheit

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