Friesenschnee
bedeutet das denn für uns? Werden unsere Reisekosten jetzt zeitgerechter bearbeitet und ohne Abschläge angewiesen?«
Den folgenden düsteren Blick von Fingerloos würde er nicht vergessen, und den zynischen Kommentar noch weniger. »Nein, man hat den Bock zum Gärtner gemacht. Die kleine Ratte ist schlicht und einfach zum persönlichen Berater von Magnussen aufgestiegen. Der Mann für das Grobe. Überlegen Sie nur einmal, wo der Ihnen überall den Finger hineinstecken kann, wenn er nur will. Lieben Sie es etwa, mit dem Finger im Po Kasperle zu spielen?«
Kommissar Hansen schüttelte angewidert den Kopf. »Nein, absolut nicht. Warum erzählen Sie mir das mit Zeise? So gut kennen wir uns doch nicht.«
Die Stimme von Fingerloos wurde brüchig. »Der Feind meines Feindes ist mein Freund.«
Fleischbeschau
Eigentlich war das Hamburger Schanzenviertel ein ziemlich beschaulicher Ort alternativer Lebensart, was sich insbesondere sonntags dokumentierte, wenn mittags die ersten Bewohner schlaftrunken zu den vielen Stühlen und Tischen vor den Kneipen wankten, um im Freien auf den Bürgersteigen das Frühstück einzunehmen. Es war an solchen friedlichen Tagen nicht vorstellbar, dass hier einmal im Jahr nach dem Schanzenfest Randale stattfand.
Olli war froh, dass das schwülwarme Wetter endlich vorüber war. Glücklicherweise lag an diesem verschlafenen Sonntag die Schanze wie ausgestorben vor ihm, und deswegen musste er sich auch keine Gedanken wegen seiner ungewöhnlichen Kleidung machen.
Genüsslich hatte er bei angenehmen Temperaturen vor der Kneipe ›Frank und Frei‹ einen Kaffee genossen. Er liebte diesen Ort, weil man von hier über die Schanzenstraße das alte, schaurig-hässliche Schlachthofgelände einsehen konnte, das sich von der gegenüberliegenden Straßenseite bis zum Hamburger Fernsehturm erstreckte.
Als sich die Straßen langsam zu füllen begannen, setzte Olli seine schwarze Sonnenbrille auf und machte sich auf die Socken. Er überquerte die Schanzenstraße und nahm schwungvoll die Backsteintreppe, die auf den alten Schlachthof führte. Interessiert nahm er zur Kenntnis, dass das Eingangsgebäude jetzt eine kleine Privatbrauerei beherbergte, die einen einladenden Eindruck erweckte. Auch die dahinterliegenden länglichen Gebäude, in denen früher die Viecher gemeuchelt wurden, waren frisch restauriert und beherbergten trendige Shops.
Er musste lachen, als seine Gestalt sich in der Schaufensterscheibe spiegelte, denn mit rosa Sweater und weißen Jeans war er schon seit Jahrzehnten nicht mehr aus dem Haus gegangen. Stuhr war jedoch der Ansicht gewesen, dass das bei seiner Mission hilfreich sein könnte.
Bei den vielen verstreuten Gebäuden auf dem weitläufigen Gelände war es nicht einfach, das zweistöckige Lagerhaus zu finden, das dem Aktionstheater ›MischMasch‹ als Spielstätte diente. Die tief heruntergezogene Aluminium-Jalousie vor dem Eingang wirkte nicht gerade einladend, obwohl sich ein minder begabter Graffiti-Künstler vergeblich daran versucht hatte, den Namen des Ensembles mittels Sprühnebel bildlich zu interpretieren. Kunstbeflissene Besucher wären vermutlich verstört, an dieser Spielstätte so schäbig empfangen zu werden, aber es entsprach durchaus dem Lebensstil auf der Schanze. Die Geschichte, die ihm Stuhr am Telefon vorgetragen hatte, klang ziemlich abgefahren, doch da der FC St. Pauli an diesem Sonntag auswärts spielen musste, kam ihm der Einsatz als Investigator gerade recht. Der verriegelte Eingang zur Spielstätte schreckte ihn keineswegs ab, und in den eleganten weißen Sneakers ließ sich das Lagerhaus zunächst leichtfüßig umgehen. Auf der Rückseite gestaltete sich die Suche allerdings durch viele herumliegende, mit herausragenden Nägeln gespickte Gerüstbretter schwieriger, aber gegenüber der Backsteinmauer bei den neuen Messehallen entdeckte er eine Haustür, die fast ein wenig unauffällig in die Lagerhauswand eingelassen war. Dem neben der Klingel prangenden Messingschild konnte er entnehmen, dass ihn Stuhr auf die richtige Fährte gesetzt hatte: L. Müller, Kampstr. 4.
Halb zwei war eigentlich eine Zeit, in der selbst die Bewohner der Schanze am Frühstückstisch saßen, aber auch nach längerem Klingeln gab es keinerlei Lebenszeichen hinter der Tür. Dieser Lollo schien ausgeflogen zu sein. Olli kämpfte sich an vielen gestapelten Plastikmüllsäcken vorbei zu dem einzigen Fenster durch, das zur Tür gehören konnte. Als er unschlüssig
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