Friesenwut - Kriminalroman
verwirrten Eindruck, als er wieder allein vor seinem großen,
aufgeräumten Schreibtisch saß. Er öffnete dessen rechte Lade, nahm eine Flasche
Cognac und einen Schwenker heraus. Er füllte einen kleinen Schluck in das Glas
und stellte die Flasche zurück in das Schreibtischfach. Er nahm das Glas, erhob
sich und ging zum Fenster. Grauer Herbst war dort zu sehen. Er führte das Glas
knapp unter seine Nase und atmete mit geschlossenen Augen tief durch. Dann
öffnete er die Augen wieder, trank das Glas mit einem Schluck leer. Erneut
holte er Luft und ließ sie ganz langsam wieder entweichen. Dann schüttelte er
den Kopf und setzte sich wieder an den Schreibtisch. Er nahm die Maus seines
Laptops in die rechte Hand und klickte auf die Webadresse, die er schon vor dem
Gespräch mit der Hauptkommissarin ausgewählt hatte: www.boerse-frankfurt.de.
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»Und
nun, liebe Karl-May-Freunde, machen wir eine Pause von 20 Minuten. Stärken Sie
sich an den Getränke- und Essenständen für den zweiten Teil der Abenteuer in
der amerikanischen Prärie, mit Spannung, Stunts und Feuerzauber. Für die
kleinen Indianerinnen, Indianer und Cowboys gibt es zahlreiche Attraktionen,
vom Goldwaschen bis zum …« Während per Lautsprecher allerhand angekündigt
wurde, erhoben sich die Leute im weiten Rund des Segeberger Freilichttheaters
am Kalkberg und strömten in Richtung der Ausgänge, die direkt ins Indian
Village führten. Hier gab es zu essen und zu trinken, und natürlich viele
Verkaufsstände, die mit mehr oder weniger indianischen sowie Wildwestprodukten
warben. Darüber hinaus waren Drugstore, Barbiershop und Sheriffbüro inklusive
Gefängniszelle vorhanden. Im ›Nebraska-Haus‹ gab es zudem eine seriöse Ausstellung
vom Leben der nordamerikanischen Prärieindianer bis hin zur leidvollen
Unterdrückung und Ausrottung der indianischen Völker durch die den Kontinent
erobernden Weißen.
Auch Derk und seine
Gäste reihten sich ein und schoben sich langsam nach oben. Plötzlich stockte
es. Die Menschenmenge staute sich vor den Durchgängen zur Westernstadt.
Offenbar wurde sie zurückgehalten.
»Was ist denn dort los? Wie soll
ich noch Gold waschen, wenn es schon 15 Minuten dauert, bis ich überhaupt oben
bin?«, scherzte Heiko.
»Und ich will mir auf jeden Fall
eine Silberbüchse kaufen, die muss gut ausgesucht sein!«, ergänzte Tjark.
»Nimm einen Henrystutzen, ist viel
besser!«, rief Heiko, zwischen die beiden hatten sich andere Zuschauer
geschoben.
Langsam, Schritt für Schritt, ging
es weiter.
»Ich hab was von Kontrollen
gehört«, meinte Derk.
»Kontrollen? Wieso das?«, fragte
Onno.
»Woher soll ich das wissen …«
»Wahrscheinlich eine kleine
Showeinlage«, meinte Heiko und sorgte sich, dass er kaum noch eine weitere
Runde Bier kaufen konnte, wenn es weiter so stockend voranging.
»Überall soll Polizei sein«,
ergänzte Derk. Bei ihm kamen verstreute Gesprächsbrocken an, die, fast wie
stille Post, von vorn nach hinten weitergegeben wurden.
»Polizisten?« Onno staunte und
fuhr fort: »Ist das hier immer so?«
»Blödsinn. Irgendetwas scheint
vorgefallen zu sein. Was weiß ich …«
Einige Besucher begannen zu
murren, als sich die Stimme aus den Lautsprechern wieder meldete: »Liebe
Karl-May-Freunde, bitte lassen Sie die Kontrollen über sich ergehen. Es besteht
kein Grund zur Aufregung. Jeder kommt ins Indian Village und rechtzeitig
zurück. Falls es etwas länger dauern sollte, werden Winnetou und Old Firehand
erst wieder reiten, wenn die Bühne freigegeben ist. Solange einfach Geduld
haben, die Genüsse, Attraktionen und wunderbaren Produkte der Westernstadt und
die wohlverdiente Pause genießen.«
»Wohlverdiente Pause. Ich muss mal
dringend wohin – ich hoffe, das klappt noch!«, rief Heiko. Die unmittelbar
um ihn Herumstehenden lachten. Von irgendwo kam die Bemerkung: »Sextanerblase,
oder was?«
Nur Rainer sagte
nichts. Ein seltsames Gefühl befiel ihn. Polizei? Hier? Was konnte der Grund
sein?
Schließlich
erreichten sie die vier Polizisten. Jeder musste seinen Ausweis zeigen, und wer
ihn nicht bei sich trug, bekam den Hinweis, man solle sich möglichst überall
und zu jedem Zeitpunkt ausweisen können. Pflichten des Staatsbürgers eben. Doch
die Beamten ließen auch den Führerschein gelten oder sich Namen und Adressen
nennen. Dann wurde über ein mobiles Online-Device geprüft, ob die Angaben
stimmten, und man konnte in die Pause entschwinden.
»Derk
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