Friesenwut - Kriminalroman
Psychologe
helfen kann, besser noch eine Psychologin. Jedenfalls, dass ein Arzt her muss.
Aber Hillrich … Sie hören ja, was er dazu sagt!«
»Und Ihre Tochter?«
»Will nirgendwohin gehen. Sie will
einfach keine Hilfe annehmen. Ich kann beide nicht überzeugen. Ich habe sie
überreden können, mal zwei Tage ein kleines Praktikum zu machen, in Norden.
Seit über zwei Jahren ist sie gestern und heute erstmals wieder in Norden.«
Martha Hajen sah aus wie ein Häufchen Elend.
Jetzt schaltete sich Ulferts
wieder ein, der den bitterbösen Blick Itzengas verdaut hatte: »Und der Unfall?
Wie hat sich das denn nun zugetragen?«
Hillrich Hajen ergriff sofort das
Wort: »Ich war als Erster an der Unfallstelle. Habe ihn gesehen, dachte, er
wäre tot, blöd bin ich jedoch nicht. Habe das geprüft, der lebte noch. Mein
ganzer Hass stieg in mir auf: Du, du Schwein, hast meiner Tochter das angetan.
Und hast dich dann wie ein feiger Hund aus der Verantwortung gezogen. Aber
immer den großen Banker markieren …«, Hajen sackte erneut in sich zusammen.
Wieder war es still im Raum. Martha Hajen schluchzte. Dann setzte Hillrich
hinzu: »Ich musste an das denken, was Menno Reemts und Marten Sommer mir
erzählt hatten. Wie viele Jahre haben wir hier in der Marsch gut miteinander
gelebt, die Felder bestellt, die Ernte eingefahren. Wenn einer ein Problem
hatte, haben die anderen geholfen. Und dann kommt die Krise und so ein Fuzzi
von der Bank macht alles kaputt. Nichts als Probleme plötzlich. Es war doch immer
alles gut gelaufen. Wir arbeiten genug. Und dann baut so ein Aldenhoff Mist,
die Bank steht plötzlich ohne da und wir in der Krummhörn kriegen es so richtig
zu spüren. Wir können doch nichts dafür. Solche Leute wie Aldenhoff, die mit
dem Geld der anderen spielen … ja, spielen! Die sind schuld, nicht wir.«
Hillrich Hajen stand auf und trat den Polizisten entgegen: »Ich kann es nicht
mehr ändern: ich habe zugedrückt, so fest ich konnte. Ich wusste, ich durfte
das nicht tun, aber ich konnte nicht anders! Es passierte automatisch, ich
konnte mich nicht dagegen wehren. In dem Moment war mein Gehirn abgeschaltet.
Ich kann es heute selbst nicht mehr begreifen. Es war falsch. Dumm. Gesetzlos.
Ick kann’t süllst nich begriepen, man ick hebb dat dohn.«
»Und die Jacke?«
»Die Jacke, die hat mir Martha
geschenkt, vor mehr als 20 Jahren. Beste Qualität, schottischer Tweed. An der
Autotür habe ich sie aufgerissen, das kaputte Blech war scharf. Ich habe sie
später …«
Tanja Itzenga sah nunmehr Hillrich
Hajen scharf in die Augen und vollendete den Satz: »Rainer Manninga in die
Mülltonne gesteckt? Sie sind noch in derselben Nacht mit dem Rad dorthin
gefahren!«
Hajen schien zu
schwanken. Er fiel geradezu in das Sofa zurück, vergrub das Gesicht in den
Händen und leise schluchzte er: »Das ist noch das Schlimmste, dass ich selbst
so feige war und die Sache jemand anderem in die Schuhe geschoben habe. Dabei
wollte ich doch vor allem … einfach nur, dass diese Sache nicht an die
Öffentlichkeit gerät. Ich wollte Frauke vor dem Gerede verschonen! Die
versteckten Fragen, die scheuen Blicke … Köpfe, die sich zusammentun, wenn man
vorbeigeht, bei Bertha Schmidt, durch den Laden! Man kann es nicht auf ewig
verbergen. Ich wäre bald gekommen, wirklich, ich brauchte nur noch etwas Zeit
und … Mut dazu!«
Für einen Moment sah Tanja Itzenga
den gebrochenen Mann fast mitfühlend an. Wie konnte man so durchtrieben
sein – oder so feige? Oder war es schlichtweg Hilflosigkeit gewesen?
Gefangen im Geflecht des eigenen Handelns, des Entsetzens über das Geschehene,
der Mutlosigkeit und dem traditionellen Denken, dem alles unterzuordnen war?
»Packen Sie ein paar
Sachen zusammen. Wir müssen Sie mit nach Aurich nehmen«, Ulferts war der Erste,
der die wiederum eingetretene, Entsetzen widerspiegelnde Stille brach. Martha
Hajen verließ das Zimmer. Hillrich war in seinem Leben kaum gereist, hatte
immer nur gearbeitet auf dem Hof. Er wusste nicht genau, was man einpacken
musste, welche ›paar Sachen‹ das sein mussten. Das sollte Martha machen.
Die beiden Polizisten
wollten Hajen gerade auffordern, mit ihnen zu kommen, als er selbst das Wort
ergriff: »Ich kann es nicht mehr ändern. Den Rest meines Lebens darf ich wohl
hinter Gittern verbringen. Bitte, ich will mich noch kurz verabschieden …
vom Hof, sozusagen. Kann ich ein paar Minuten haben? Nur noch einmal durch den
Stall und durchs Haus. Klingt vermutlich
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