Frisch gemacht!
ich lese Zeitung«, ist mein Kompromissvorschlag. Er will nicht. »Du weißt doch, mein Biorhythmus ist nicht für Frühsport. Mir bekommt es besser, nachmittags zu rennen.« Da hat sein Biorhythmus leider Pech. »Was sollen wir denn auf dem Flohmarkt?«, winselt er um Gnade. Kindergartenveranstaltungen mag Christoph nicht sonderlich. An Elternabenden bietet er sich jedes Mal sofort als Babysitter an. »Ich kenn da doch keinen«, ist sein Argument. »So lernst du auch nie jemanden kennen«, mein Konter. »Schon gut, ich gehe mit«, lenkt er ein. »Was verkaufen wir denn, das Kind?«, versucht er einen kleinen Scherz zu landen. So abwegig finde ich seine Idee heute Morgen gar nicht. »Die Mama!« ist Claudias Beitrag zu dem Thema.
»Spielzeug, Babysachen von Claudia, alles Mögliche halt«, ignoriere ich die Frechheiten meiner Tochter. Unversöhnliches kleines Etwas. »Tja, dann guck mal, ob du eine neue
findest«, ärgere ich mich aber dann doch. »Ich geh zur Thea, und den Papa nehme ich mit, du kannst den Pius haben. Belindas Papa. Der ist blöd«, lässt sich meine Tochter durch meine zugegebenermaßen pädagogisch wenig wertvolle Drohung kein bisschen einschüchtern. Im Gegenteil: Im Austeilen ist die bald besser als ich. »Danke, sehr nett von dir«, rege ich mich nicht weiter auf, »aber wieso ist der Pius eigentlich blöd?« Thea schwärmt immerzu von ihrer Ehe, aber seit ich Pius bei der Dauerwellenbehandlung bei Lydia gesehen habe, bin ich mir, was die Beziehung zwischen Thea und Pius angeht, nicht mehr so sicher. Ich bohre nach. »Was ist denn mit Pius, Claudia?« Meine Tochter vergisst, genau wie ich, dass sie eigentlich noch beleidigt ist, und erstattet Bericht. So gut das Kinder in diesem Alter eben können. »Die Thea und der Pius schreien ganz viel. Der Pius sagt immer: ›Du nervst.‹ Und die Belinda weint auch.« Na, das sind ja mal aktuelle Neuigkeiten. »Wieso hast du mir das denn nicht schon erzählt?«, frage ich meine Tochter. »Du hast nicht gefragt«, kommt die durchaus logische Antwort. Claudia und ich streiten uns schnell mal. Bis Christoph gemerkt hat, dass wir im Clinch liegen, sind wir allerdings meistens längst wieder versöhnt. Ich weiß, dass man mit kleinen Kindern nicht streiten soll, aber ab und an überkommt es mich. Man kann sich ja auch nicht alles bieten lassen. Man kann schon, aber ich will nicht. Ich habe keine Lust, von meiner Tochter »dumme Sau« oder »doofe Kuh« genannt zu werden. Was sagt die denn dann zu mir, wenn sie erst mal mitten in der Pubertät ist? An die Pubertät will ich gar nicht denken. Vor allem, weil sie sich jetzt so süß an mich kuschelt und sagt: »Ich behalte dich. Du bist lieb.«
Da habe ich ja nochmal Glück gehabt.
Inge findet meine Einstellung zum Beschimpfenlassen natürlich verkehrt. Als ich letzte Woche zu einem Tässchen Dritte-Welt-Kaffee bei ihr war (sie hat für mich Kaffee angeschafft, was ich ziemlich nett von ihr finde, weil ich den Roibusch einfach nicht runterkriege), hat sie mir ordentlich ins Gewissen geredet. »Hör mal, die Claudia muss ihre Aggressionen doch loswerden.« »Aber warum ausgerechnet bei mir«?, widerspreche ich. Inge hat natürlich eine Antwort. Inge bleibt nie eine Antwort schuldig. »Weil du eine Vertrauensperson bist. Kinder, überhaupt Menschen, brauchen diese Vertrauensbasis zum Schimpfen.« Das wäre mir neu. Ich kann auch Menschen beschimpfen, zu denen ich keinerlei Vertrauen habe. Die ich nicht mal richtig kenne. Da geht es mit dem Schimpfen fast noch besser. Ich habe eher Hemmungen bei Menschen, die ich gut kenne. Inge ist mit meinen Erziehungsmethoden generell nicht einverstanden. Wenn ihr Samuel David Konstantin, der mittlerweile, welch Überraschung, vom Tiefkühlhühnchen zum Gockel geworden ist, zu einem recht ansehnlichen sogar, wenn der was zu trinken haben will, sagt er nur: »Durst.« Oder an sehr guten Tagen: »Will trinken.« Fragt man ihn nach dem Zauberwort, eine kinderübliche Floskel, die zur Benutzung des Wortes bitte anregen soll, sagt der kleine Rotzlöffel doch einfach: »Flott.« Inge findet das irrsinnig komisch. Ich finde es altklug und doof. »Bring deinem Kind bitte und danke bei, das schadet doch der Psyche nicht. Und die Leute mögen es. Die höflichen Kinder kommen einfach besser an. Wenn der das draufhat, profitiert er davon«, argumentiere ich. Bitte und danke sind heutzutage vernachlässigte kleine Wörter. Inge ist uneinsichtig: »Reaktionärer Schwachsinn ist
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