Frisch gepresst: Roman (German Edition)
gegen die Windschutzscheibe und hechtet aus dem Wagen. Mühsam komme ich hinterher, obwohl ich am liebsten in den Porsche kübeln und nach Hause gehen will. »Schnidt«, reiße ich mich am sprichwörtlichen Riemen, »den Arsch läßt du nicht so laufen. Das könnte dem so passen. Freundchen, du wirst es noch lebenslang bereuen, daß du dich auf ein Blind Date mit mir eingelassen hast.« Wir hasten die Stufen zum Eingang hoch. Meine Schuhe sind für einen Hindernislauf nicht sehr geeignet. Kurz vor dem Eingang knicke ich wenig elegant um. Ich erwische noch knapp Gregors Flanellhöschen, um mich festzuhalten. Der dünne Stoff, scheinbar nicht beste Qualität oder meinem Gewicht nicht gewachsen, gibt nach und reißt. Ein ekelhaftes Geräusch. Aber es war nicht seine Hose, sondern mein Knöchel. Im selben Moment schießt ein heftiger Schmerz durch mich durch. Ich will wieder aufspringen, aber Pustekuchen. Keine Chance. »Gregor, ich glaube, da ist was mit meinem Knöchel, es tut sauweh«, schreie ich nach meinem Begleiter, der gerade mit halboffenem Mund eine aufgetakelte Blondine, Modell Ivana Trump für Arme, anstarrt. Anscheinend ist selbst Gregor klar, daß es keinen guten Eindruck macht, eine schmerzverzerrte Frau im Hauptportal der Uni liegen zu lassen. Wenig liebevoll zerrt er mich hoch, und als ich ihn bitte, mal nach meinem Fuß zu schauen, reagiert er leicht ungehalten: »Isch will Dermatologe wern, wenn de Fußpilz hast, kaan Problem, guck isch mer an, aber net hier. Sei mer net bös, anner Fußproblemscher sin net mei Baustell. So wies aussieht is er wahrscheinlisch eh nur vertrete.« Auf Hochdeutsch soll das wohl heißen: Hier, du Hypochonderin, stell dich nicht so an und sieh zu, daß du beikommst.
Ich trete vorsichtig auf und stelle fest, daß so ein vertretener Fuß barbarisch weh tun kann.
Damals wußte ich noch nicht, welche Dimensionen Schmerzen erreichen können. Wer einmal geboren hat, bekommt ein ganz neues Verhältnis zu so was. Nachträglich betrachtet, war er gut auszuhalten, der Fußschmerz. Aber nachher ist man immer schlauer.
Hätte ich bloß auf meine Intuition gehört und mir einen netten Abend vor der Glotze gemacht, anstatt mir hier, derangiert, von einem Blödmann Unverschämtheiten anzuhören. Und das ausgerechnet, wo meine Lieblingssendung läuft. Es ist die 100000-Mark-Show.
Heute kann ich das ohne Hemmungen sagen. Am Anfang habe ich mich für diese Leidenschaft ein bißchen geniert. Weil ich auf eine Sendung abfahre, die politisch nicht korrekt ist. Und Political Correctness ist ja in unseren Zeiten das A und O. Sachen, die politisch unkorrekt sind, können noch so witzig oder spannend sein, ein halbwegs gebildeter, aufgeschlossener Mensch ist dafür nicht empfänglich. Oder gibt es wenigstens nicht zu. Ich aber scheine perverse Neigungen zu haben, oder wie sonst ist zu erklären, daß es mir gefällt, wie sich junge, sportliche Menschen im Kampf um 100000 Mark bis zum Äußersten treiben. Jetzt nicht zu »dem« Äußersten. Aber sie quälen sich. Physisch und psychisch. Mir fällt es schwer, die ganze Aufregung rund um solche Shows zu begreifen. Letztlich ist die 100000-Mark-Show doch nur die konsequente Fortführung vom guten, alten »Laufenden Band«. Einer hoch anerkannten Sendung. Da haben sich die Leute für einen Toaster und ein Fragezeichen zum Kasper gemacht. Ehrlich gesagt, wenn ich mich lächerlich mache, dann lieber mit der Aussicht auf 100000 Mark bar auf die Tatze als für einen Toaster und einen Wochenendtrip in den Bayerischen Wald.
Mist, ich habe den Videorekorder nicht programmiert.
Pickeldoktor will er werden, der Gregor. Na prima. Sind Dermatologen nicht auch für Geschlechtskrankheiten zuständig? Hoffentlich wird er sein bester Patient und fängt sich was richtig Widerliches ein. Mit Juckreiz und Ausschlag. Ich habe selten jemandem so inbrünstig die Krätze an den Hals gewünscht. Immerhin, er spricht: »Komm, dein Treter werd mer doch net mein Abend verderbe, Kopp hoch, Anettscher, Lebbe geht weiter, drei Ma Reesche, drei Ma Schnee, schon tut’s net mer weh.« – »Andrea«, brülle ich ihn an. – »Wo?« fragt er, wenig intelligent um sich schauend. – »Ich heiße immer noch Andrea, und das seit 30 Jahren«, erwidere ich, ordentlich angesäuert, »und nicht Anette.«
Verbessert wird er nicht gerne, der zukünftige Dermatologe. »Ganz wie de meinst, Hässche«, nuschelt er, ohne auch nur im geringsten peinlich berührt zu sein. Eher sauer.
Ich sehe
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