Frisch gepresst: Roman (German Edition)
die Leute schon mit mehr Pickeln aus dem Sprechzimmer rauskommen, als sie reingegangen sind. Wenn der so mit seinen Patienten umspringt, na denn gute Nacht.
Plötzlich – ein joviales, lautes Gegröle. Das Vieh, das sich Gregor nennt, hat seine Herde gefunden. Glückliches gegenseitiges Schulterklopfen und ein entschuldigendes Kopfzucken in meine Richtung. »Is die Tochter von de Freundin von meiner Mutter, die Andrea«, präsentiert er mich wenig standesgemäß.
Etwa vier weitere Kerle schauen mich erwartungsvoll an. Einer tuschelt ein keckes, anerkennendes: »Mann, Gregor, gestern die Elvira, heute die Andrea, alle Achtung, deinen Schlag bei Frauen hätte ich auch gerne.« Meint der, ich bin taub, oder stört es ihn am Ende nicht mal, daß ich alles gehört habe? Irritierte Blicke auf meinen ramponierten Absatz. Gibt wahrscheinlich Punktabzug. Und wenn schon. Bei Freunden von Gregor gut anzukommen hat nichts Erstrebenswertes. Obwohl 3 von ihnen sogar ganze Sätze mit anständiger, korrekter Grammatik rausbringen. Nach einer Stunde mit einem Mann wie Gregor sinken die Ansprüche gen null. Optisch kann keiner mit ihm mithalten. Ist wahrscheinlich der Aufreißer der Truppe und gibt ab und zu gönnerhaft eine weiter.
Wenn das unsere medizinische Zukunft ist, dann hoffe ich, noch recht lange sehr gesund zu bleiben.
»Jetzt abä rin mit uns ins Gewusel, so jung sehn mer uns net mer wiedä«, treibt Gregor seinen Hofstaat an. Wo der wohl seine Sprüche her hat? Vom Wasserhäuschen? Altkluge Doofsprüche, gemischt mit irrwitzigen Plattheiten aus der nach unten offenen Skala für Niveaulosigkeiten jeder Art.
Von seiner Mutter kann’s eigentlich nicht kommen. Sie ist zwar nicht direkt eine Intellektuelle, aber auch nicht annähernd so dummdreist wie ihr Filius. Daß die sich kein bißchen schämt für ihren Sohn. Aber nein, im Gegenteil: Sie preist ihn an, als wäre er Supermann. Ein bißchen Distanz in der Beurteilung ihrer Kinder würde den wenigsten Müttern schaden. Ich nehme mir vor, nie eine so unkritische Mutter zu werden. Bei einem derart peinlichen Resultat kann man sich das Gepresse und die gesamte Plackerei wirklich von vorneherein sparen. Aber leider weiß man ja vorher nicht, was dabei rauskommt. Wie ich Gregors Mutter Heidrun kenne, müßte ihr insgeheim klar sein, wie bescheuert sich ihr Sohn aufführt. Möglicherweise leidet sie sogar unter Schuldgefühlen. Die sie sich nur in schwachen Momenten leise eingesteht. Heute sind ja sowieso die Mütter an allem schuld. Wer erzieht denn die Söhne? Die Standardausrede von Männern, wenn es um ihre Macken geht. Ist das nicht praktisch? Ja, so einfach kann das Leben für Männer sein. Positive Seiten sind Eigenverdienst, alles Miese kommt von Mutter. Mit dieser Pseudologik schaffen sich Männer eine kleine Welt, frei von jedweden Selbstzweifeln. Bauernschlau nennt man so was.
Gregor zahlt den Eintritt. Für alle. Wenigstens geizig ist er nicht. »Fünf Mann mit Maus«, grient er die Kassiererin an. Über seinen Spruch lacht immerhin einer. Er selbst. Die Kassiererin wirft mir einen mitleidigen Blick zu. Andere merken anscheinend schneller, daß ich hier die Oberniete gezogen habe. So blamiert worden bin ich lange nicht mehr. »Selbst schuld, Schnidt«, denke ich mir und beschließe, diese Truppe, die man, wäre man wirklich charmant, gerade noch als Primaten bezeichnen könnte, sofort zu verlassen. Schöne Idee und noch dazu höchste Zeit, aber als ich hochblicke, merke ich, daß ich längst alleine dastehe. Eben noch 5 Männer an meiner Seite und schon sind sie fort. Abgehauen.
Mein Fuß schmerzt, und auf der provisorisch aufgebauten Bühne spielt eine lausig schlechte Band. Ich hätte auch im pinken Blazer gehen können, so dunkel, wie es hier im Saal ist. Düster, miefig und laut. Am liebsten würde ich meine Mutter anrufen und sie zwingen, ihren Hintern schleunigst hierherzubewegen. Das glaubt die mir doch wieder nicht. In ihrer Phantasie ist eine Medizinerfete ein gepflegtes Stelldichein mit Häppchen und amüsantem Small talk. Gutgekleidete schlaue Menschen, die liebevoll miteinander schäkern. Ha. Von wegen. Ich humpele erst mal Richtung Klo. Klo ist immer gut. Zum Restaurieren und Nachdenken. Mittlerweile gehe ich, als wäre mein eines Bein, das linke, um genau zu sein, 10 Zentimeter kürzer als das andere. Ist mir der lädierte Fuß schon abgefallen? Nein. Der Absatz meiner Pumps ist weg. Den kann ich abhaken. Hier in der Meute nach einem verlorenen
Weitere Kostenlose Bücher