Frisch gepresst: Roman (German Edition)
Absatz zu suchen ist absolut aussichtslos. Ein wirklicher Erfolg, der Abend. Die Schuhe kann ich wegschmeißen, mein Selbstwertgefühl ist schon weg, und der kaputte Fuß pocht vor sich hin. Ich könnte heulen vor Wut. Aber soweit kommt es noch. Nachher treffe ich mit verlaufener Wimperntusche wieder auf Gregor. Und der denkt dann glatt, ich würde seinen Verlust beweinen. Nix da. Im Toilettenvorraum ziehe ich den Restschuh vom Fuß. Aparter Anblick. Die Nägel vom Absatz haben die Nylonstrumpfhose durchbohrt und der Fuß sieht aus wie von einer jungen Elefantenkuh oder einer 67jährigen Übergewichtigen mit Wassereinlagerungen. Geschwollen ohne Ende. Wie aufgepumpt. Ich glaube, diese sensationelle Party nähert sich für mich dem Ende. Tanzen erübrigt sich mit dem Schwellkörper, und wenn ich mich beeile, schaffe ich vielleicht sogar noch das Finale der 100000-Mark-Show.
Ein Blick in den umkämpften Spiegel zeigt mir, daß selbst mein kunstvolles Make-up nicht mehr das ist, was es mal war. Der Lidstrich verwischt, das Rouge fleckig und der Lippenstift fast weg. Nur die Kontur ist an ihrem Platz. Ohne Lippenstift sieht das allerdings eher ulkig aus. Wie ein Essensrest. Ein Kakaobart. Frisch aufgetragen, macht sie wirklich was her. Ich male nämlich raffiniert leicht über die Lippenumrandung hinweg. Mit ebendiesem bräunlichen Konturenstift. Dadurch werden meine Strichlippen zwar nicht zu einem Schmollmund, aber etwas fülliger wirken sie doch. Der Lippenstift muß dann einen Tick heller sein als der Konturenstift. Heller Lippenstift vergrößert optisch, dunkler macht die Lippen noch schmaler.
Habe ich von einer entfernten Bekannten. Die ist beim Fernsehen. Erstaunlicherweise, denn außer den Lippenstifttrick hat sie noch nichts Vernünftiges und Schlaues von sich gegeben. Wenn man sie das erste Mal trifft und ihren Erzählungen aus der bunten Welt der Fernseh- und Medienleute lauscht, ist man mordsbeeindruckt und denkt: Wow, die Frau hat’s geschafft. Laut eigenen Angaben ist sie so was wie das weibliche Pendant zu Thomas Gottschalk. Gesehen habe ich sie bis jetzt allerdings nur als Ansagerin. Sie liest, ohne zu stottern, aber das ist auch so ungefähr das herausragendste Merkmal ihrer Auftritte im Regionalprogramm. Soviel zum Thema Mythos und Wirklichkeit. Aber eins muß man ihr lassen. Immer tipptopp zurechtgemacht ist sie. Wie aus dem Ei gepellt. Eine dieser perfekten Modelle. Nie eine Laufmasche, keine abgebrochenen Fingernägel oder fehlenden Knöpfe. Solche Frauen verderben die Moral. Ich kann diese Trullas nicht ab. Sie stressen mich. Allein durch ihren Anblick. Fettige Haare, Schuppen, herausgewachsene Ansätze, alles Dinge, die es für diesen Typ Frau offensichtlich nicht gibt. Allein durch ihre Anwesenheit üben solche Frauen Druck auf andere aus. Unwissentlich oder absichtlich? Wer weiß. Obwohl ich, als mißtrauische Person, eher dazu tendiere, es für Absicht zu halten.
Jetzt und hier ist mir das alles allerdings mehr als schnuppe. Selbst die wirklich nötigen Ausbesserungsarbeiten spare ich mir. Ich will nur noch eins: heim. Ein Stückchen Vollmilchnuß, meine Ruhe und einen Waschlappen mit Eisstückchen für meinen Fuß. Dazu möglichst noch eine treu ergebene Freundin, die ich volljammern kann. Eine wie Heike, die leider mittlerweile in München wohnt. Heike ist eine etwas phlegmatische Person, die von Männern per se wenig hält, sexuell schon überhaupt nichts, und gerne zuhört. Heike ist der Typ Freundin, mit der man den Abend auf der Couch verbringen kann, ohne sich verpflichtet zu fühlen, die ganze Zeit für Unterhaltungsstoff zu sorgen. Bei Heike habe ich keine Hemmungen, auch für mich selbst wenig schmeichelhafte Geschichten auszubreiten. Solche, die man ansonsten lieber für sich behält, weil sie einfach zu peinlich sind. Oder sie leicht geschönt und abgewandelt zum besten gibt. Mit ein, zwei Pointen frisiert.
Heike ist eine Seele von Mensch. Uneitel, ehrlich, und das alles, ohne verletzend zu sein. Wen sie einmal in ihr Herz geschlossen hat, der hat in ihr eine Freundin fürs Leben. Sie ist ein Goldschatz, bezeichnet sich selbst aber als böses Mädchen. So nennen sich Lesben nun mal gerne. Ihr Coming-out war reichlich spät und für mich absolut unerwartet. So mit Ende 20. Ich habe sie noch als Heterofrau kennengelernt. Irgendwann hat sie es mir gestanden. Bei einem Abendessen. »Du, ich muß dir was Wichtiges sagen, ich weiß nicht, wie du es aufnimmst, ich bin eine, also, ich
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