Frische Spur nach 70 Jahren
blaue Gräser malen wollte.
Das 13. Verbrechen! Es kam aus
der dunklen, versiegelten Tiefe ihrer zugeschütteten Erinnerung. Es gehörte zu
jenen Gedanken, die man nicht mehr gern denkt, die man ausblendet aus dem
Bewusstsein, weil sie jede Stimmung vergällen und traurig machen.
Hilde Nocke sah die grüne Kuh
an auf ihrem Gemälde und der schmerzliche Stich fuhr der Malerin durchs Herz.
Band II von Beates Tagebüchern
hatte als zwölftes Verbrechen den Brand im Kindergarten beschrieben. Und als
13. das Gemetzel an den Tieren, eine unbegreifliche, widerwärtige Tat. Das 13.
Verbrechen war dem zwölften nur einen Tag später gefolgt — also drei
unterschiedliche Taten innerhalb von zwei Tagen. Dann hatten B & C
eine mehrwöchige Pause eingelegt — in den Frühsommer-Monaten 1929 — bevor sie
abermals zuschlugen.
Die Unterschiedlichkeit der
Verbrechen war charakteristisch gewesen für Beate und Claus. Hilde wusste,
warum. Zweifellos hatten beide einen nicht erklärbaren psychischen Defekt
gehabt, ein zerstörerisches Irresein, einen völligen Mangel an Verantwortung.
Und einen abgrundtiefen Hass auf Mitmenschen, auf die Gesellschaft — eigentlich
auf die Welt insgesamt.
Zwei gefährliche Kranke, die
scheinbar harmlos und unerkannt ihren Alltag lebten, hatten sich gefunden,
waren zum liebenden Paar geworden — und die gemeinsame Schlechtigkeit hatte
eine Lawine von 22 Verbrechen ausgelöst.
Natürlich war Claus der
treibende Keil gewesen — Beate eher Mitläuferin. Aber nach damaliger
Rechtsauffassung hatte sie sich ebenso schuldig gemacht — und war mit ihm,
ihrem abgöttisch geliebten Claus, den Weg bis zum bitteren Ende gegangen — bis
unters Beil des Henkers.
Hilde erinnerte sich an die
Textstellen in den Tagebüchern, wo Beate niedergeschrieben hatte, worum es ihr
und Claus ging: Aufruhr, Chaos, Unruhe, die fetten Bürger erschrecken, den Ekel
vor der Welt in Taten ausdrücken.
Krank! Krank! Krank!
Seit 70 Jahren vorbei.
Aber nun wieder aufgelebt.
Und morgen stand das 13.
Verbrechen an.
Hilde legte Palette und Pinsel
weg und ging hinunter zum Telefon.
Das Gespräch mit ihrem Enkel
hatte sie hinter sich — Gott sei Dank! Er hatte alles besser aufgenommen, als
zu erwarten war, hatte sogar Mitgefühl gezeigt für Beate und ein gewisses,
distanziertes Verständnis.
„Manchmal, Oma“, hatte er
geäußert, „ist die Welt ja auch wirklich zum Kotzen. Jeder denkt nur an seinen
Vorteil und geht dafür über Leichen. Das große Morden wird als ethisch
gerechtfertigter Krieg bezeichnet. Und der einzelne Mensch zählt gar nichts.
Ich kann nachvollziehen, was Beate und ihr Macker empfunden haben. Aber
natürlich sind Verbrechen kein geeignetes Mittel, um Protest auszudrücken. Ich
sehe die beiden als eine Art Terroristen. Schämen sollten wir uns jedenfalls
wegen Beate nicht. Besser ist natürlich, wenn die Nachbarn nichts erfahren.“
Er sagt das mir zum Trost,
dachte Hilde und war ein bisschen gerührt. Tief im Innern ist er sicherlich
entsetzt. Ein Schock! Aber damit muss er sich auseinander setzen, wenn er ein
Mann werden will — und mit 25 sollte er sich langsam darum bemühen.
Sie griff zum Telefon.
Wen sollte sie anrufen?
Am besten TKKG. Die waren B
& C-Aktuell, wie sie die Nachahmer nannten, auf der Spur, hatten sich
reingekniet in die Vorfälle mehr als die Polizei.
Hilde hatte Karls Handy-Nummer
notiert, suchte sie hervor und wählte.
19.
Verdächtig sind zwei
Alles war geregelt, ein
Streifenwagen in der Nähe gewesen — und Frischy hatte die Besatzung über
Sprechfunk angewiesen, Leo Schachner festzunehmen — wodurch TKKG entlastet
wurden und abschwirren konnten.
Andere Kripobeamte waren zu
Kotzbühl unterwegs, denn dessen Eingeständnis, von einem Einbrecher Beute
angekauft zu haben, würde seine Situation bei der Polizei sehr ungünstig
beeinflussen — die unterlassene Hilfe mal gar nicht gerechnet.
Tim und seine Freunde waren nun
wieder unterwegs, düsten durch den frühen Nachmittag und hatten ein viel
versprechendes Ziel: Wolfhard Schniele-Rillmanns Adresse.
Die war dort, wo die
Grundstückspreise in der Millionenstadt kaum noch bezahlbar sind. Und Schachner
hatte berichtet, dass der Crime-Sammler über ein Gelände von 8000 qm verfüge,
umfriedet und sogar mit Hecke abgedichtet.
Tim war jetzt damit
beschäftigt, das Ergebnis der bisherigen Ermittlung aufzuarbeiten und sprach’s
aus.
„Unsere Chance auf B
& C-Aktuell“, sagte er in den sommerlichen Fahrtwind,
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