Frischluftkur: Roman (German Edition)
Fahrzeug, das zu diesem Gedanken passt, ist der Panzer, der vor ihm steht. Der symbolisiert genau dieses verzweifelte Nichts-kann-mich-aufhalten-Gefühl, das Romeo ausfüllt. Er steigt ein und fährt los. Geradeaus, ohne Rücksicht auf Zäune, liebevoll bepflanzte Vorgärten oder andere Hindernisse. Beim Fahren kippt er sich einen Halbliterflachmann voll Strohrum rein. Das ist gut für die Nerven, hat seine Großtante immer gesagt. Und die hatte wirklich starke Nerven.
Vor dem Kreiskrankenhaus parkt Romeo aus Versehen auf dem Stellplatz des Oberarztes – und damit auf dessen Kombi. Ungeachtet aufgebrachter Schwestern, die ihm mit Halbsätzen wie »Sie können hier nicht ...« den Weg abschneiden wollen, stürmt er in die Intensivstation. Zuerst sieht er die betroffen aussehenden Landfrauen, dann zwei Ärzte, wie sie den Kopf schütteln, hört: »... nichts mehr tun.« In diesem Moment weiß er: Seine Jule ist tot! Fort, ihm für immer entrissen!
Romeo stößt einen Schrei tiefster Verzweiflung aus und rennt so schnell er kann aus dem Krankenhaus.
***
»Was war das denn?«, fragt Hanna irritiert. Sie ist noch etwas mitgenommen von der Mitteilung des Arztes, dass Ralf, der inzwischen auch eingeliefert wurde, wahrscheinlich wegen des K.o.-Tropfen-Konsums impotent bleiben wird – oder es vorher schon war, das konnte der Arzt nicht so genau sagen. Jule geht es zum Glück schon wieder besser. Dann hat man über den bevorstehenden Verkauf des Krankenhauses diskutiert und den Privatisierungswahn beklagt. Und plötzlich brüllt da jemand los wie ein angestochenes Schwein.
»Romeo!«, ruft Tina.
Marlies nimmt sofort die Verfolgung auf, die anderen rennen hinter ihr her. Draußen springen sie in den nächsten Corsa und versuchen, den Panzer einzuholen.
***
Romeo, vor Schmerz völlig durchgeknallt, versucht sich umzubringen, indem er gegen einen Baum fährt. Das wäre ihm mit einem Kleinwagen auch leicht gelungen, doch der Panzer knickt die Zierkirschen im Krankenhauspark mühelos um. Nein, so kommt er nicht weiter. Doch dann fährt er direkt auf den Ententeich zu – und mitten hinein.
Blubb. Blubb. Blubb.
Der Panzer säuft langsam ab. Klappe zu, Romeo drin.
***
Am Ufer springen die Landfrauen aus dem Corsa und beraten, was zu tun ist. Das heißt: Eigentlich fällt ihnen nichts Gescheites ein.
»Ein Rettungsring?«, ruft Hanna.
»Lachhaft!«, knurrt Marlies.
»Feuerwehr anrufen?«, überlegt Tina.
»Kann man ja mal machen. Vielleicht eher das THW?«, schlägt Petra vor.
»Oder gleich die Bundeswehr?«
Marlies beteiligt sich nicht länger an der Diskussion, sondern springt ins Wasser. Sie schwimmt durch den Entenschnodder zum Panzer und erwischt gerade noch die Luke. Gekonnt – schließlich hat sie die Informationsbroschüren der Bundeswehr, die sie bei Du & Deine Welt mitgenommen hat, ausführlich studiert – öffnet sie die Klappe und brüllt hinein: »Komm da raus!«
Romeo erschreckt sich. Er hat Marlies' Stimme vorher noch nie bewusst wahrgenommen und ist überrascht, dass sie so bestimmt und kräftig klingt. Trotzdem widersetzt er sich ihr: »Ohne Jule will ich nicht weiterleben!«
»Musst du ja auch nicht«, entgegnet Marlies.
Nein, muss ich auch nicht , denkt Romeo trotzig. Deshalb werde ich jetzt ja sterben. Und dann ist alles gut. So.
»Jule geht es gut!«, schmettert Marlies in den Panzer. »Den Umständen entsprechend«, fügt sie leise hinzu. Sie findet, dass sie jetzt genug geredet hat. Mehr als sonst in einem halben Jahr. Das muss reichen.
Romeo klettert aus dem Panzer – die Ausstiegsluke befindet sich noch über der Wasseroberfläche, der Teich ist nämlich nicht sehr tief – und sieht dem Leben und den Landfrauen in die Augen.
»Los, komm schon, dann bist du rechtzeitig bei ihr, wenn sie aufwacht«, sagt Petra.
»Vielleicht kannst du sie auch wachküssen?«, schlägt Tina vor.
»Wir haben ihr nämlich K.o.-Tropfen gegeben, damit sie sich nicht mit Ralf treffen muss. Der ist jetzt leider impotent.« Hanna schüttelt verwirrt den Kopf, sie kann es immer noch nicht ganz fassen.
Romeo interessiert sich einen feuchten Entendreck für Ralf, er will nur zu Jule und läuft los, so schnell er kann. Die Landfrauen eilen ihm nach. Und er kommt wirklich gerade noch rechtzeitig, um sie wach zu küssen. Das Küssen, das klappt jetzt noch viel besser.
»Hat mal jemand eine Kamera?«, fragt Tina. »Solche Momente muss man doch festhalten!«
»Aber das Problem, dass die Familien Kappel und
Weitere Kostenlose Bücher