Frischluftkur: Roman (German Edition)
Montag sich nicht ausstehen können, das haben wir noch immer nicht gelöst«, bemerkt Petra.
»Denkst du«, sagt Hanna. »Wir sind ja schließlich nicht Shakespeare. Wir lassen keine Unordnung zurück.«
Die anderen sehen sie erstaunt an.
»Hier«, sagt Hanna und zieht einen akkuraten Schnellhefter aus ihrer Handtasche. »Das wollte ich dir heute sowieso geben.« Sie reicht ihn Jule.
»Was ist das?«, will diese wissen, blättert auf – und schnappt nach Luft. »Das ist ja ...«
»Eure Zukunft.« Hanna sieht ausgesprochen zufrieden aus. »Oder der Untergang eurer Väter, je nachdem, wie ihr es sehen wollt. Ich habe mich ein wenig ... umgehört. Wenn etwas davon öffentlich bekannt wird, können die Herren Montag und Kappel einpacken. Und bevor sie diese Schmach hinnehmen, werden sie wohl zulassen, dass ihre Kinder miteinander glücklich werden.«
»Du bist genial!«, rufen Petra und Tina.
»Ach was«, sagt Hanna und lächelt bescheiden. »Ich bin einfach nur geradlinig.«
10. Kapitel:
Fiktion und Realität
Donnerstag, 11. August
In Knurres Kramerlädchen bildet sich eine Traube um den Drehständer mit den Zeitungen. Helma, die zweite Vorsitzende des Landfrauenvereins, hält die BILD-Zeitung hoch. Ihre Hand zittert dabei etwas, dann macht sie eine Bewegung, als wollte sie mit dem Blatt ein paar Fliegen totklatschen. »Landfrauen-Porno, schreiben die hier! Eine Frechheit!«
Es strömen immer mehr Leute herbei, die hören wollen, was denn eine Frechheit ist. Aber sie erfahren es zunächst nicht: »Mir fehlen die Worte! Das ist einfach ... unaussprechlich!«
»Und worum geht es da?«, fragt eine Frau aus dem Menschenauflauf.
»Um Sex!«, empört sich Helma. »Um Sex in einem Buch. Hier, lest selbst: Wilder Sex zwischen Strohballen, das steht da. Und: Landfrauen sind rattenscharf! Das ist doch eine Unverschämtheit! Ich bin nicht rattenscharf! Ich verbitte mir so etwas!«
»Vielleicht haben die gar nicht dich gemeint«, wirft Evelyn ein.
Die zweite Vorsitzende der Landfrauen guckt verwirrt. Wie? Gar nicht sie gemeint? Das kann nicht sein! Wer sollte denn sonst gemeint sein? Sie ist doch der Inbegriff einer Landfrau!
Evelyn nimmt sich eine Zeitung und geht zu Marlies, die Backmischungen stapelt. »Guck mal, ich glaub, die meinen dein Buch«, sagt sie.
Marlies starrt auf die Schlagzeile: Wilder Sex zwischen Strohballen. Daneben, ganz deutlich, das Cover ihres Buches.
Hm , denkt Marlies, wieso Strohballen? Sie hat immer nur von Heuballen geschrieben, daran erinnert sie sich noch dunkel. »Das wird ein Bestseller«, prophezeit Evelyn.
***
Das Liebesleben der Landfrauen – Fiktion und Realität. Eine kritische Auseinandersetzung mit dem Buch »Die Steckrübe«. Zu diesem Vortrag des Landfrauenvereins gibt es so viele Anmeldungen, dass von dem üblichen kleinen Seminarraum im Feuerwehrhaus in den großen Saal des Schützenvereins ausgewichen werden muss.
Die vortragende Literaturwissenschaftlerin kommt zu dem Schluss, dass es sich bei der Steckrübe nicht nur um einen neuen Meilenstein feministischer Befreiungsliteratur von ganz neuer Schonungslosigkeit, sondern wohl auch um eine Autobiografie von allerhöchster Authentizität handele. Und dass sich die Begebenheiten hier in dieser Gegend zugetragen haben könnten. »Erstaunlich, welch tiefe Sprache ein solch flacher Landstrich hervorzubringen imstande ist«, sagt sie.
Blödsinn , denkt Marlies, nicht der Landstrich hat das geschrieben, sondern ich. Sie blickt sich verstohlen um. Ob man ihr ansehen kann, dass sie die Autorin ist? Sie zupft an ihrem Pony, hat schon wieder das Gefühl, es wäre ihr auf die Stirn geschrieben. Doch wider Erwarten starrt niemand sie an.
Bei Knurres wird Die Steckrübe unterm Ladentisch gehandelt. Wenn man in der Zeitschriften- und Schreibwarenabteilung »... und Sie wissen schon« verlangt, bekommt man das Buch, diskret verdeckt von der neuen Ausgabe von Meine Familie & ich. Passt ja thematisch.
Alle im Publikum haben das Buch gelesen. Und fast alle haben sich wiedererkannt. Oder ihre Wohnzimmerschrankwände. Die Farbe ihres Hauses. Ihr Auto. Etwas, mit dem sie sich identifizieren – aber in diesem Zusammenhang? Auch die Szenen kommen ihnen vertraut vor. Ist es nicht der eigene Mann oder der eigene heimliche Liebhaber, der sich so oder so benimmt? Das Schützenfest – das ist doch das hier im Dorf! Und die Dessous? Könnten meine sein, die teuren vom Modehaus Redeker , denkt sich die eine oder andere Landfrau und fühlt
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