Friss oder stirb
mehr als 90 Prozent der Tiere im Inneren des Stallgebäudes sind.“
Durch die Integration der Mobilställe in die Obstanlage konnte Daniel Hobericht auch das Problem mit den fehlenden Deckungsstrukturen auf der Auslauffläche lösen. Gemäß den natürlichen Bedürfnissen der Hühner können sich diese nun entlang der Beerensträucher sowie unter dem schützenden Kronendach der Obstbäume bewegen, ohne dabei ungeschützte Bereiche überwinden zu müssen. Auf diese Weise frequentieren die Tiere fast den gesamten Obstgarten. Da sie auf relativ kleine Herden in ihren Mobilställen aufgeteilt sind, sind auch die Kondensationspunkte – die jeweiligen „Heimatställe“ – optimal über die Anlage verteilt. Weil die Herden und ihre Ställe überschaubar bleiben, finden die Tiere außerdem leichter zu den Auslaufluken.
Der zweite bedeutende ökologische Vorteil ist, dass auch die Obstbäume und Beerensträucher von dieser Wirtschaftsweise profitieren. Der Hühnerkot, welchen die Tiere durch ihre Aktivität gleichmäßig über die Anbaufläche verteilen, kommt den Obst- und Beerenkulturen zugute. Da jede einzelne mobile Stalleinheit vier Jahre benötigt, bevor sie durch das Rotationssystem wieder an ihrem Ausgangspunkt landet, fallen die Probleme der Überdüngung und der Zerstörung des Bodens rund um den Stall weg. Der Boden wird nie überbeansprucht und es werden ihm ausreichende Regenerationsphasen gegönnt. All dies ist in der Bio- und Freilandindustrie mit den dort vorherrschenden stationären Großställen nicht möglich.
Hinzu kommt ein ökonomischer Vorteil, der sich aus der Wirtschaftsweise von Bio-Bauern wie Daniel Hobericht ergibt. Die Hühner versorgen sich auf ihren Streifzügen durchs Freiland mit Futter, das sie auf dem Boden sowie in den oberen Bodenbereichen finden: Gras, Insekten, Würmer, herabgefallene Früchte von den Bäumen und Sträuchern. Auf diese Weise suchen sich die Tiere bei Daniel Hobericht 35 Prozent ihrer täglichen Nahrung selbst und ohne Zutun des Bauern, der dadurch einen beachtlichen Teil weniger Futtermittel einsetzen muss.
Besonders beeindruckte mich die Situation in den Ställen. Ich war natürlich vor allem an der größten Mobilstalleinheit interessiert, in der 475 Tiere lebten. Drinnen scharrten die Hennen im Sand, andere saßen auf ihren Sitzstangen. Es herrschte eine gelassene Geräuschkulisse aus entspanntem Gackern, den Geräuschen des Sandbadens und des gelegentlichen Flügelschlagens. Dass die Kommunikation in diesem Stall funktionierte und die Tiere in einem ausgeglichenen sozialen Gefüge lebten, war deutlich zu spüren. Keine der Hennen wirkte gestresst und auch mein plötzliches Auftauchen im Stall versetzte die Herde nicht in Panik, wie ich es aus der Bio-Industrie gewohnt war. [ Abb. 18–19 ]
Es gibt allerdings einen Wermutstropfen rund um die vorbildliche Hühnerhaltung von Daniel Hobericht: Auch auf seinem Hof leben Legehennen der Hybridlinie Lohmann Brown Classic. Das bedeutet nicht nur, dass durch den Bezug dieser Hochleistungszüchtungen der Lohmann-Konzern, über den ich bereits berichtet habe, unterstützt wird, sondern auch, dass die Zucht der Tiere und das Ausbrüten der Küken unter industriellen Bedingungen stattfinden. Jede Lohmann-Hybride, wo auch immer auf der Erde sie von einem Eierproduzenten eingesetzt wird, lässt sich in ihrer familiären Abstammung auf die Vorfahren zurückverfolgen, die bei Lohmann in fensterlosen Hallen dahinvegetieren müssen und als nichts weiter als Maschinen zur Produktion von Bruteiern betrachtet werden. Für jede einzelne von einem Landwirt bezogene Lohmann-Henne musste im Schnitt ein männliches Küken am Tag seiner Geburt auf dem Fließband sterben.
So wie samenfeste Pflanzensorten brächten reinerbige Hühnerrassen neben tierethischen auch zahlreiche ökologische Vorteile. Sie lassen sich von Generation zu Generation an den jeweiligen Einsatzort anpassen und verfügen über natürliche Verhaltensweisen, die Hybridhühner längst verloren haben – auch über eine „innere Uhr“, die dazu führt, dass solche Hühner durch künstliche industrielle Lichtprogramme in ihrem Tages- und Jahresrhythmus nicht beeinflusst werden können. „Alte Rassen“ haben ein gut funktionierendes Immunsystem, womit der Einsatz von Antibiotika, der auch bei „Bio“ üblich ist, deutlich reduziert werden könnte. Außerdem sind solche Hühnerrassen mit den Rahmenbedingungen der ökologischen Landwirtschaft weitaus kompatibler. Sie
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