Friss oder stirb
brauchen zum Beispiel keine Zumischung von konventionellem Futter und neigen weniger zur Selbstausbeutung und zu Federnkannibalismus als die auf die Agrarindustrie zugeschnittenen Hochleistungshybriden. Beinahe in jeder Region der Erde existieren noch immer alte Hühnerrassen, die dort oft seit Jahrhunderten kultiviert und gezüchtet werden und daher an das jeweilige Klima optimal angepasst sind.
Das Augsburger Huhn wurde mit seinem graublau schimmernden Federkleid beispielsweise in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts durch einen Züchter in Augsburg aus dem italienischen Lamotta-Huhn und dem französischen La Fléche hervorgebracht. Das Augsburger Huhn ist für seine gute Legeleistung und sein schmackhaftes Fleisch bekannt [34] .
Von stattlichem Bau und hohem Körpergewicht – die Hennen bringen bis zu 3,5 Kilogramm auf die Waage, die Hähne sogar bis zu 4,5 Kilogramm – ist das britische Orpington-Huhn , das an das feuchte maritime Klima Großbritanniens angepasst ist und bereits 1886 in der südenglischen Grafschaft Kent gezüchtet wurde. Legeleistung und Fleischansatz der Orpingtons sind gut [35] , weshalb die Hühner bis zu ihrer Verdrängung durch die hoch ertragreichen Marktzüchtungen gute Dienste in der Landwirtschaft leisteten.
Das österreichische Altsteirer Huhn wurde in der Steiermark nördlich von Graz gezüchtet und blickt auf eine auffallend lange Kulturgeschichte zurück, die bereits am Ende des 17. Jahrhunderts begann. Altsteirer-Weibchen sind hervorragende Eier-Legerinnen und die Hähne sowie die Hennen bringen ein außergewöhnlich schmackhaftes, feinfaseriges Fleisch hervor. Eine Leistungsprüfung in Bayern ergab bereits zwischen 1925 und 1935 eine erstaunlich hohe Legeleistung von 280 Eiern pro Jahr für Altsteirer-Hennen [36] (pro Tier).
Ebenfalls in der Steiermark entstand am Beginn des 19. Jahrhunderts die Rasse des Sulmtaler Huhns , zunächst als Masthuhn. Durch weitere Kreuzungen entwickelte sich im Laufe der Zeit aber auch eine sehr gute Legeleistung für das Sulmtaler Huhn [37] , wodurch es zu einem leistungsstarken, robusten Zweinutzungshuhn wurde.
Das deutsche Sperber-Huhn , das durch sein schwarz-grau geflecktes, sogenanntes „gesperbertes“ Federkleid bekannt ist, geht auf einen deutschen Züchter in Duisburg zurück, der um 1900 das erste Sperber-Huhn hervorbrachte. Er nannte die Rasse zuerst „Rheinische Sperber“. Der Name „Deutscher Sperber“ ist erst seit 1917 üblich. Nach 1945 erlebte die Rasse wegen ihrer hohen Fleisch- und Eierleistung [38] wirtschaftliche Aufschwünge, bis sie – so wie alle alten Hühnerrassen – durch die Hybridhuhnzucht ab den 1970er-Jahren vom Markt verdrängt wurde.
Dieses Schicksal trifft auf alle Hühnerrassen zu, die – so scheint es – den Kampf gegenüber den Laborlinien der Hybridzuchtkonzerne verloren haben. Heute findet man sie fast nur noch in den Händen von Hobbyzüchtern, die bei der Zuchtwahl vor allem auf das Aussehen der Hühner achten. Deswegen haben viele alte Rassen inzwischen ihre guten Ertragseigenschaften wieder verloren, wenngleich sie diese zurückerlangen würden, sofern man ihnen durch Zucht und Rassenpflege wieder die nötige Aufmerksamkeit schenken würde.
Während die Industrie behauptet, die Zeit des Rassehuhns sei längst abgelaufen und nur noch das industrielle Hybridhuhn könne als ernst zu nehmende Option betrachtet werden, setzen sich überall auf der Erde Bäuerinnen und Bauern für den Erhalt und die Reaktivierung der alten Rassen und Zweinutzungshühner ein. So auch der bayerische Geflügellandwirt und Geflügelzüchter Christian Hetzenecker in Neumarkt-St. Veit. Herr Hetzenecker züchtet neben Gänsen und Enten in erster Linie Hühner der Rasse Le Bleu , die wiederum genetisch auf das französische Bresse-Huhn zurückgeht, das erstmals in der Region Bresse, nordöstlich von Lyon, gezüchtet wurde. [ Abb. 20–21 ]
Clemens G. Arvay : Auf Ihrem Bio-Hof, Herr Hetzenecker, leben 200 Elterntiere und 450 Jungtiere des Zweinutzungshuhns „Le Bleu“ und jeweils eine Herde von Enten und Gänsen. Sie sind nicht nur Landwirt, sondern auch Geflügelzüchter, und jede zweite Woche liefern Sie etwa tausend Le-Bleu-Küken aus. Was unterscheidet Sie von einer herkömmlichen Industriebrüterei?
Christian Hetzenecker : Es gibt viele Unterschiede, aber der wichtigste ist, dass bei mir kein einziges Küken sterben muss. Wir brauchen den sogenannten „Homogenisator“ nicht, ein Messer, das die Tiere zu
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