Fritz Neuhaus 03 - Nichtwisser
Mitternacht gut abgefüllt.
»Übrigens, ich heiße Martin!«, wiederholte er ständig und nahm einen tiefen Schluck aus der Pulle.
Die beiden Frauen brachten mich weit nach Mitternacht nach Hause. Wir schliefen in dem Haus von Corinne. Sie hatte da auch ihre Wohnung. Die Frauen hakten sich einfach bei mir unter. Als hätten wir nie etwas anderes gemacht. Sie sangen. In der Ferne stimmte ein Bariton ein. Der Mond war still und helle. In Berlin hätte längst jemand › Ruhe ‹ aus dem Fenster gegrölt. Ich hatte mich schon lange nicht mehr so wohl gefühlt. Ich hätte immer weiter marschieren können. Nach Hause. Ich hätte wetten können, dass der Mond uns zuzwinkerte, als wir das Haus betraten. Ich saß auf einem Kettenkarussell. Das Leben flog vorbei. Es war da und nicht greifbar.
14
Ein Hahn hatte mich schon lange nicht mehr geweckt. Er krähte, als müsste er die Nachbargemeinden im ganzen Umland aus dem Schlaf reißen. Eine Kirchturmuhr schlug sechs Uhr. Ich war eingefleischter Frühaufsteher, aber das war selbst mir zu früh. Ich drehte mich auf die Seite, um weiterzuschlafen. Der Hahn krähte, als müsste er zur Schlacht rufen und gegen das Fort Hackenberg anstürmen, in dem am Nachmittag die Hochzeit stattfinden sollte. Eine normale Hochzeit war das nicht. Sonst hätte die Rothaarige sie nicht eigens auf dem Zettel notiert. Die Gedanken wirbelten in meinem Kopf. Wer hatte mir was in den Orangensaft getan? Ich hatte das Glas mit einem Zug ausgetrunken. Ich versuchte mich zu erinnern, was ich Barbara erzählt hatte. Mein Kopf war leer. Der Hahn kam jetzt erst in Hochform. Andere Hähne stimmten ein. Ich angelte meine Hose und zog sie an. Ich setzte mich auf das Bett. Jemand traktierte mich mit Drogen. Jemand machte mich wehrlos. Jemand drang in mich. Jemand raubte mein Bewusstsein. Machte mich zum Hampelmann, zur Hülle, die nicht wusste, was sie tat. Ich wusste nicht, dass eine Seele nackt sein konnte. Meine Seele war nackt. Einen nackten Leib konnte man verhüllen. Eine nackte Seele nicht. Das begriff ich in diesem Moment. Ich blieb lange auf dem Bett sitzen. Schritte näherten sich. Es war Barbara. Sie war barfuß.
»Guten Morgen.«
Sie setzte sich neben mich. Sie hatte einen weißen, flauschigen Bademantel an.
»Wussten Sie, dass Seelen nackt sein können?«
»Ja. Fühlen Sie sich so?«
»Ja.«
»Es gab Experimente der CIA mit Wahrheitsdrogen. Seelen nackt machen. Toxische Interpenetration könnte man es nennen. Etwas in die Seele einführen, sie aufspießen, einen dauernden Fremdkörper in die Seele implantieren, der die Opfer auspresste und zerrüttete bis zur völligen Erschöpfung.«
»Ich kann mich absolut an nichts erinnern. Es geht mir gut. Bis auf den Ekel, dass ich es weiß. Durch Sie! Ohne Sie wüsste ich es gar nicht.«
»Ekeln Sie sich jetzt vor mir?«
»Nein.«
Mir fielen die Worte des Richters in Berlin ein. Des Mäuserichs, der gegen die Rattenplage kämpfte. Er sprach von den glücklich Gefolterten. Von den glücklichen Ökofolterschweinen im Freilaufgehege. Die nicht wussten, dass sie gefoltert wurden. Dank der chirurgischen Folterpräzisionseingriffe von Martha Klein, die sie sich in ihrem kranken Hirn ausdachte.
»Wir müssen Martha Klein finden.«
»Wir müssen vor allen Dingen aufpassen, dass uns nichts passiert.«
»Ja. Wir fahren heute nach Hackenberg. Ich vertrete mir mal die Füße. Also, bis bald.«
Sie verließ den Raum. Es war das Therapiezimmer von Nemec. Ich schlief auf der Couch. Ich streifte mein Hemd über, nahm meine Jacke und schlüpfte in die Schuhe. Der Chor der krähenden Hähne war verstummt. Ich betrat den Garten. Tau glitzerte in den Blumenkelchen. Die Sonne hatte sich jungfräulich zu einem neuen Tag erhoben. Die Luft war klar. Auf dem Markt rührte sich erstes Leben. Stände wurden aufgebaut. Männer mit großen Besen kehrten die Pflaster und Bürgersteige. Die Geräusche kehrender Besen hatte ich schon lange nicht mehr gehört. Ein geradezu symphonisches Klanggebilde. Ich trottete zu dem Café, in der Hoffnung, dass es schon geöffnet war. Ich hatte mit der netten Bedienung ein Hühnchen zu rupfen, ohne genau zu wissen, ob es nicht ein Blindhuhn war. Ich bekam Gesellschaft. Martin Degrange haute mir auf den Rücken.
»Wieder fit?«
»Morgen, Martin. Gut, dass du kommst.«
Die nette Bedienung stellte gerade die Stühle und Tische auf die Caféterrasse.
»Wir sollten uns diese Bedienung vorknöpfen.«
»Die Rosi?«
»Kennst du sie?«
»Hat
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