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Fritz Neuhaus 03 - Nichtwisser

Titel: Fritz Neuhaus 03 - Nichtwisser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Senf
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seine Aussage widerrufen und Anzeige erstattet. In der Gerichtsmedizin haben wir mit dem Pathologen gesprochen. Nichts, sagte er. Keine Leiche. Tut mir leid.«
    Barbara und ich brachen gegen Mittag auf zum Fort Hackenberg. Corinne blieb in Schlabbach. Ich hatte den Eindruck, dass Barbara sie ganz sanft dazu überredet hatte. Aber ein Eindruck kann täuschen.

15
    Wir fuhren bei Saargemünd über die Grenze. Entlang der Saar. Die Architektur der Häuser änderte sich hinter der Grenze völlig. Die zumeist einstöckigen Wohnhäuser waren zuckerbonbonfarbig. Helles Rosa und Ocker waren die bevorzugten Farben. Sie vergingen beim Hinschauen wie zuckersüße Bonbons auf der Zunge. Die Fenster, deren Flügel man weit aufsperren konnte, reichten bis zum Boden. Das Licht strömte in die Zimmer.
    Saargemünd war eine reiche Stadt gewesen. Es war die Stadt der Fayencen, der Glasmalerei und der wunderbar bemalten Kacheln. Saargemünd lebte vom Glas. Es gab herrliche Jugendstilhäuser, reich verziert mit den bunten Kacheln, die den Häusern ihren eigenen Rhythmus verliehen. Hinter der Stadt bogen wir links ab in das Saartal, in die Richtung von Zettingen, das von sanft gerundeten Hügeln umringt war. Es war eine ungemein weibliche Landschaft. Wir fuhren Richtung Sarre Union an der Saar entlang, die hier fast wildwasserartig über Wehre und Felsen sprang. Bald sahen wir die ersten Vorläufer der Vogesen.
    Auf meinen Knien hatte ich die Landkarte und die Broschüre liegen. Ich wartete darauf, dass sie mir unangenehme Fragen stellen würde wegen meines Aussetzers im › Café Lauer ‹ . Fragen aus dem Hinterhalt, die mich wehrlos machten. Mein anderes Selbst, dieser vermaledeite Lustmensch, hatte einiges in petto. Wenn er mir damit zu nahe kam, geriet ich in Rage. Ich wollte partout nichts hören. Er war mein Schlüsselbewahrer, der seinen Spaß hatte. Dafür musste er den Mund halten. Er hatte absolutes Redeverbot. So war es abgemacht. Alles andere erweckte Widerwillen in mir.
    »Erzähle mir was aus deinem Leben.«
    Ich hatte nicht viel zu erzählen. Ich war immer unterwegs gewesen. Ich hatte mich anfangs in Berlin mit Kneipenjobs über Wasser gehalten. Die Kellner plünderten mit Raffinesse die Börsen der Gäste und die Kassen der Lokale. Die Wirte waren machtlos. Ich entwickelte Systeme, dem Griff in die Kasse das Handwerk zu legen. Es gelang mir bis zur Perfektion. Das sprach sich herum.
    Ich lebte blendend davon.
    Die Grimasse im Gesicht des Ertappten amüsierte mich immer wieder.
    Die Betriebe, für die ich arbeitete, wurden größer. Ich immer perfekter. Je größer ein Betrieb, umso anonymer war er. In der Anonymität wuchs die Versuchung.
    Für alle Geheimdienste war Anonymität das Lebenselixier. Das Geschäft des Geheimen bedingte das. Sie erlaubte durchaus den brutalen Zugriff auf den Bürger. Im rechtsfreien Raum konnte sich Recht bis zur Unkenntlichkeit verzerren.
    Warum sollte ich ihr etwas aus meinem Leben erzählen? Ich war kein Tiefseetaucher, der in die Finsternis seiner dunklen Kontinente tauchte. Ich würde nie mehr an die Oberfläche gelangen, wenn ich diese Tiefseereise in ein Labyrinth unternähme, das mir Furcht einflößte.
    Ich wollte ihr nichts über mein Leben erzählen. Ich blätterte in der Broschüre. »Ich erzähle dir lieber was über das Fort Hackenberg.«
    Ich begann, ihr aus der Broschüre vorzulesen.

16
    Es war gigantisch. Ich war überwältigt. Es war der Schrank der Schränke, in dem sich alle Schränke dieser Welt mit all ihren Geheimnissen, Mottenkugeln, Pelzen und Mysterien aus Polen und Russland, in dem sich die Schränke aller Epochen, des Barocks und des Biedermeiers, hätten versammeln können. Diesen Schrank hatte eine Macht aus einer fremden Welt in diese liebliche Landschaft geschleudert. Einen Giganten voller Klüfte, Risse, Löcher, Spalten, von gewaltigen Runzeln durchfurcht, in denen Moos und Gehölz wucherten. Es war ein uralter Wal, der mit lanzenartigen, rasierklingenscharfen Messern von Waljägern zum groben, eckigen Klotz gehauen worden war. Auf dessen Haut, zerklüftet, fleckig, grünlich, grau, in Beton gegossen, eine lange Reise hierher nach Lothringen ihre Spuren hinterlassen hatte.
    Es war das Fort Hackenberg.
    Acht Panzerdrehtürme und schwere Geschütze waren in diese Betonhaut eingelassen. Riesige Schießscharten, Schlüssellöcher ungeahnten Ausmaßes, gaben den Blick frei für den anstürmenden Feind, für Millionen mit lautem Hurra anrennende Soldaten, die im

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