Fritz Neuhaus 03 - Nichtwisser
Whisky mit einem Zug runter.
»Noch einen!«
Sie nahm sich reichlich.
»Das Leben ist aufregend. Ständig eine neue Überraschung.« Sie schaute mich fast spitzbübisch an. Die Frau hatte Nerven. Keine Spur von Nervosität. Sie wirkte eher aufgekratzt. Vielleicht war es auch eine Art Hysterie nach der Katastrophe. Barbara lachte. »Ich glaube, wir sind ein gutes Team. Auf uns.«
»Ist ja fast wie bei einem Picknick.«
Ich wollte den Aussetzer im Café ausklammern, schaffte es aber nicht. Ich war zu neugierig.
»Sagen Sie«, wandte ich mich an Barbara, »ich will nicht im Einzelnen wissen, was ich geredet habe im Zustand meiner Absence. Später können wir darüber reden, ich brauche noch Abstand. Nur, wie habe ich mich benommen? Irgendwie auffällig? Oder wie sind Sie auf mich aufmerksam geworden?«
Barbara überlegte kurz.
»Ich habe Sie in dem Café gesehen. Sie liefen zwischen den Stühlen hin und her und brabbelten leise vor sich hin. Blieben mal stehen, schauten auf den Boden, starrten in den Himmel, dann setzten Sie sich wieder. An irgendeinen Tisch. Auch an Tische, an denen schon Leute saßen. Fortwährend leise, aber sehr schnell vor sich hinredend. Mal lauter, mal leiser. Die Bedienung trug Ihnen Ihr Getränk hinterher. Ein leeres Orangensaftglas und den Milchkaffee, der längst kalt war. Sie schien sehr besorgt um Sie zu sein. Ich zupfte Sie am Ärmel und zog Sie an einen leeren Tisch. Sie lächelten mich freundlich mit völlig leeren Augen an, ohne mit dem Reden aufzuhören. Wie geht es Ihnen?, fragte ich Sie. Sie registrierten meine Frage gar nicht. Sie erinnerten mich an Patienten aus der geschlossenen Psychiatrie. Abgeschottet von der Außenwelt. Ganz in sich selbst verfangen. Dann kam Frau Valéry. Wir hatten uns in dem Café verabredet. Wir brachten Sie hierher. Sie waren folgsam wie ein kleines Kind, das sich freute, nach Hause zu kommen.«
»Ah ja.«
Diese Auskunft genügte mir fürs Erste. Ich wechselte abrupt das Thema und erzählte, wie Torsten Meyer Nemec im Auto gefunden hatte.
»Nemec ist demnach umgebracht worden. Wie spät ist es eigentlich? Ich bin mit den beiden Polizisten um acht Uhr verabredet.« Es war halb acht. »Kennen Sie die beiden?«
Frau Valéry reagierte erst nicht. Der Tod von Nemec bedrückte sie. Sie wischte sich eine Träne von der Nasenspitze. Sie nahm einen kräftigen Schluck Whisky. Dann strahlte sie wieder. Sie war tapfer und ließ sich nicht so schnell unterkriegen.
»Ja. Der Dicke heißt Martin Degrange. Er war bei Nemec in Therapie. Ein netter Kerl. Immer etwas verlegen. Er hatte furchtbar gelitten unter der Trennung von seiner Frau und seinen beiden Kindern. Torsten Meyer ist ein Tausendsassa. Das genaue Gegenteil von Degrange. Ein Draufgänger. Sehr beliebt in der Gegend. Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass der dieses Spiel des BND mitspielt. Oder von wem auch immer.«
Wir beschlossen, gemeinsam zu Martin Degrange zu gehen. Schließlich saßen wir alle im gleichen Boot. › Der Goldene Ochse ‹ war nur ein paar Schritte entfernt. Es war ein großes, mehrstöckiges Sandsteinhaus mit hohen Fenstern. Eine breite, von vielen Schritten ausgetretene Treppe mit einem reich ornamentierten, schmiedeisernen Geländer führte in die Gasträume. Über der Eingangstür prangte ein großer, goldener Ochse, der an einer Eisenstange hing. Das Gasthaus hatte einen großen Biergarten, der völlig überfüllt war. Die Menschen drängelten sich auf den Bänken und waren fröhlich. Es duftete nach Zwiebelkuchen, der auf großen Blechen serviert wurde. Aus Krügen wurde Wein ausgeschenkt. Ein Bild der schönsten Eintracht. Feierabend auf dem Lande. Mir hatte ein Unbekannter einen Trip eingeworfen. Aber welche Bedeutung hatte das schon angesichts einer solch geballten Urwüchsigkeit mitten in Schlabbach? Ich war eine zu vernachlässigende Größe, die nur vorübergehend in diesem schönen Ort war und die Idylle nicht lange stören würde. Nach mir war alles wieder gut. Es fehlte nur noch eine Blaskapelle, die zum Tanz aufspielte. Wir mussten den Biergarten durchqueren, um zur Wohnung des Polizisten zu kommen. Degranges Wohnung war auf der Rückseite des Hauses in einem Fachwerkanbau mit einem eigenen Garten.
Degrange stand an einem Schwenkgrill. Er sah uns.
»Hallo«, grüßte er. »Heute wird geschwenkt. Sie wissen doch, Gott denkt, der Saarländer schwenkt«, lachte er und stellte uns Torsten Meyer vor, der mit einem Blech voller Grillfleisch aus dem Haus kam. »Das
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