Fröhliche Wiederkehr
zusammen, um ein Fäßchen Bier anzustechen und, da man das Bier doch nicht so trocken herunterwürgen konnte, die Gurgel kräftig mit Schnaps zu ölen. Kurzum, es wurde schwer gesoffen, von Kindesbeinen an, denn schon die Tertianer und Sekundaner, Bürschchen von dreizehn bis sechzehn Jahren, hatten ihre Zirkel, in denen man nach studentischem Comment zu trinken begann und in einer jammervollen Besäufnis endete. Wenn es daheim zum Krach kam, dann waren diese Zusammenstöße zwischen Vater und Sohn zumeist auf eine Sauferei zurückzuführen, von der mein Bruder schwankend oder überhaupt nicht heimfand. Vater brüllte dann, aus ihm würde nie etwas werden, und er sehe es schon kommen, daß er als Kaffeehausmusiker im Rinnstein enden werde, und sein Abitur könne er in den Rauchfang hängen...
Aber allen Unkenrufen zum Trotz bestand Ernst sein Abiturientenexamen, und es steht so deutlich in meiner Erinnerung, als wäre ich gestern dabeigewesen. Ich stand, vierjährig, zwischen meinen Schwestern auf einem Schemel am Fenster und sah vom Gymnasium her den johlenden Zug in der Bahnhofstraße herankommen. Mein Bruder, goldene Alberten als Abzeichen des akademischen Bürgers der Königsberger Albertina in den Rockaufschlägen und mit dem roten Stürmer zum Zeichen des bestandenen Examens auf dem Kopf, schwankte, auf den Schultern von Primanern des folgenden Abiturjahrgangs getragen und von den Gymnasiasten bis zur Sexta herunter gefolgt, uns zuwinkend heran. In dem großen Wohnzimmer waren vier Reihen langer Tische aufgestellt, die Stühle stammten aus der Konditorei Strauß, und Herr Strauß lieferte auch das Bier, von dem ein Fünfzig-Liter-Faß zum Anstich bereitstand. Ein Korbschläger lag vor dem Stuhl des Präsidenten griffbereit auf dem Tisch, und ein ehemaliger Abiturient, jetzt Mediziner im dritten Semester, der meinen Bruder für seine Verbindung keilen wollte, übernahm die Leitung des Festkommerses. Was sich über die Treppe buntbemützt vom Grün der Tertia bis zum Schwarz der Prima herandrängte, war eingeladen. Die >Senioren< besetzten die Stühle, und die >Junioren< übernahmen die Rolle der Füchse und schleppten volle Bierkrüge heran. Unterwegs sorgten sie dafür, daß sie nicht zu kurz kamen. Schon am frühen Nachmittag gab es die ersten Bierleichen, die das Treppenhaus vollkotzten und weggeschafft wurden. Nach vier oder fünf Stunden Kommersgesang und Becherklang begann dem Präsident das Regiment zu entgleiten, aber da machte sich die ganze Corona auch schon zu neuen Feiern auf den Weg, denn da sechs Mitschüler meines Bruders das Abitur bestanden hatten, fanden auch sechs andere Festkommerse statt, und so zogen sie die ganze Nacht hindurch von einem Gelage zum andern. In dieser Nacht wurden ein halbes Dutzend Laternen zertrümmert, das Denkmal des Generals v. Günther übel beschmiert, die Fenster des kleinen Puffs in der Ackerstraße mit Steinen zerschmissen und die Bänke in den Grünanlagen vor dem Landgericht in den Goldfischteich geworfen. Ich selber hatte den ersten Vollrausch, denn ich hatte mich heimlich über die Neigen in den Bier- und Schnapsgläsern hergemacht. Für Vater muß es ein schwerer Schock gewesen sein, der ihn nun auch für meine Zukunft das Schlimmste befürchten ließ. Mutter holte den alten Sanitätsrat Wollschläger herbei; was er mir einflößte, weiß ich nicht, aber ich stand am nächsten Tag wieder fest auf meinen dicken Beinen. Meinen Bruder haben ein paar mitleidige Seelen am frühen Morgen heimgebracht und ihn, da sie ihn wohl für tot hielten, einfach vor die Tür gelegt. Er trug schon als Primaner einen starken »Es-ist-erreicht-Schnurrbart«. Witzbolde hatten ihm die eine Hälfte davon abrasiert, und so entdeckte ihn Mutter. Mit Annas Hilfe schleppte sie ihn ins Bett, stellte einen Eimer daneben und schnitt ihm, um ihn nicht zum Gespött seiner selbst zu machen, mit ihrer Stickschere auch noch die andere Schnurrbarthälfte weg. Damit er sich beim Erwachen zurechtfinden konnte, ließ sie die Petroleumlampe brennen. Und das war ein großer Fehler. Denn die Lampe begann zu blaken und bedeckte den Schläfer, das Bett und das ganze Mobiliar seiner Schülerbude mit einer fingerdicken, öligen Rußschicht, weichen Flocken, die ihn beinahe erstickt hätten. Unsere Anna, die Mutter gegen Mittag mit Essiggurken und Rollmöpsen zu ihm schickte, kam schreiend zurückgelaufen, als wäre sie einem Gespenst begegnet, einem Gespenst von schwarzer Couleur. Die Säuberung des
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