Fröhliche Wiederkehr
in Goethes Iphigenie das Sittliche, das im Herzen wohnt, zum Mittelpunkt der Handlung gemacht sei< doch nicht so recht erkannt und gebührend gewürdigt und daher den Aufsatz nur mit einer >Drei bis Vier< benotet. Nach reiflicher Überlegung seien er und seine Herren Kollegen zu der Auffassung gelangt, daß dieser Aufsatz sicherlich eine >Zwei bis<, wenn nicht gar eine glatte >Zwei< verdient hätte, und so habe man sich erlaubt, den Aufsatz mit der Note >Gut< nachzuzensieren. — Uns lief der Schweiß in den Hals und wir schluckten trockene Klöße hinunter, als Wegener erwiderte, diese >Drei bis Vier< habe ihm dreißig Jahre lang schlaflose Nächte bereitet, und er hoffe nun, die restlichen Nächte seines Lebens ohne Alpdrücken und Nachtschweiß ruhig schlafen zu können.
Mir juckte es in den Fingern, ich konnte nicht anders, ich setzte mich noch am gleichen Abend hin, schrieb die Geschichte nieder und schickte sie an den >Simplicissimus<. Peter Scher veröffentlichte sie sofort, übersandte mir ein Honorar von zwanzig Mark und forderte mich zu weiterer Mitarbeit auf. Kaum war sie gedruckt, da ließ mich der >Chef< auch schon zu sich kommen, schielte durch seine starken Brillengläser über meinen Kopf hinweg und eröffnete mir, daß ich zum mündlichen Examen nicht mehr anzutreten brauche und das Examen möglichst an einer anderen Anstalt im nächsten Jahr wiederholen könne. Vater war der rettende Engel. Er erklärte dem Direktor kühl, daß neunzehn- oder zwanzigjährige junge Menschen genug kritischen Verstand besäßen, um sich über diese hanebüchene Zensurenänderung ihre eigenen Gedanken zu machen. Und im übrigen könne er sich nur wundern, daß das Provinzialschulkollegium noch nichts unternommen habe, um ähnliche peinliche Vorkommnisse in Zukunft zu unterbinden. Und da zur gleichen Zeit auch Paul Wegener, dem ich den Simplicissimus mit meinem Beitrag zugeschickt und meine Nöte kurz geschildert hatte, für mich intervenierte, durfte ich ins Mündliche, und der Oberschulrat, der die Prüfung leitete, behandelte mich besonders liebenswürdig. Er galt als strenger Examinator. Mir stellte er, nachdem er sich laut in ein großes Taschentuch geschneuzt hatte, eine einzige Frage: Ob mir eine besonders treffende Definition für den Begriff des Humors bekannt sei, und als ich stramm und lautstark — denn er liebte eine forsche Haltung — antwortete: Humor ist, wenn man trotzdem lacht! murmelte er: Ausgezeichnet, ganz ausgezeichnet! und entließ mich mit einer gnädigen Handbewegung aus der Prüfung. Der Chef saß mit steinernem Gesicht daneben. —
Meinem Vater waren solche Gänge verhaßt, denn Schulmeister — er nannte sie nie anders — waren ihm, vielleicht aus eigener Erfahrung, in der Seele zuwider. Lauter arrogante Kerle und Besserwisser, pflegte er zu sagen; na ja, unter Blinden ist der Einäugige König, und vor Analphabeten kann, wer ein bißchen lesen und schreiben kann, leicht den lieben Gott spielen und Zensuren verteilen. Und wenn man recht hinsieht, dann haben die Brüder das ganze Jahr Ferien, und dafür werden sie auch noch bezahlt...
In den Gerichtsferien trafen bei uns manchmal Ansichtskarten von der Schneekoppe oder vom Brocken mit Grüßen von Kollegen ein. Bei uns ging es wohl zu knapp zu, als daß sich die Eltern weite Urlaubsreisen hätten leisten können, zumal, nachdem Ernst die Universität bezogen hatte, um Jura zu studieren. Vaters Ferien sahen wir Kinder mit dem gleichen Bangen entgegen wie seinen freien Nachmittagen und den Sonn-' und Feiertagen überhaupt, denn Vater war ein gewaltiger Marschierer und schleifte uns meilenweit durch die Wälder und Felder mit. Die Schönheit der Landschaft ließ ihn ziemlich unberührt, er wäre auch durch die Sahara gelaufen, die Hauptsache für ihn war, ein Minimalpensum von zwanzig Kilometern hinter sich zu bringen. Er brauchte einfach Bewegung. Seine obligatorischen Revisionsbesuche der zum Landgerichtsbezirk gehörenden Amtsgerichte legte er, obwohl es zu den meisten Orten Eisenbahnverbindungen gab, prinzipiell zu Fuß zurück, und es waren nach Bialla, Rhein oder Marggrabowa gewaltige Entfernungen. Er marschierte, in den Dörfern vom Hundegebell verfolgt und manchmal von streunenden Hunden angegriffen, mit dem Regenschirm in der linken und einem dicken Knüppel in der rechten Hand ganze Nächte hindurch und erschien zuweilen erst zum Frühstück daheim in der Wohnung, ohne die geringste Spur von Ermüdung zu zeigen. Der einzige, der
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