Fröhliche Wiederkehr
ein halbes dutzendmal durchs Fenster geschossen worden war. Bei dem letzten Abenteuer dieser Art war die über dem Tisch hängende Petroleumlampe zu Bruch gegangen, wobei Mutters Kleid Feuer fing. Das war nun wirklich zuviel des Guten.
In Lyck führte eine alte Dame, Fräulein Perner, eine Vorschule, in der Kinder in drei Klassen für den Besuch des Gymnasiums oder Lyzeums vorbereitet wurden. Hier fand Mutter eine neue Wirkungsstätte und erwarb sich die Sympathie von Fräulein Perner in so hohem Maße, daß die alte Dame, die sich nach Ruhe sehnte, ihr die Übernahme der Privatschule mit den gar nicht unbeträchtlichen Einnahmen antrug. Hier die Schule, dort Vater mit seinen drei Kindern und dem Dackel Dittchen, es war keine leichte Entscheidung für sie, aber dann siegte doch Vaters brauner Bart. Und ich möchte sagen, daß sie diesen Entschluß nie bereut hat. Als nun Vater den Großeltern in Gehrock und Zylinder seine Aufwartung machte, um Großvater um die Hand seiner ältesten Tochter zu bitten, sah Großvater ihn mehr mitleidig als überrascht an: »So so«, brummte er, »die wollen Sie also heiraten... Nun ja, wenn Sie durchaus wollen... Es ist schließlich Ihre Sache. Aber eins sage ich Ihnen gleich, die hat Haare auf den Zähnen.«
Mutter, die im Nebenzimmer hinter der Tür gelauscht hatte, stürzte mit roten Flecken im Gesicht herein: »Heinrich!« schrie sie empört, »ist das alles, was du zu sagen hast?!«
»Da haben Sie es«, murmelte Großvater mit einer hilflosen Handbewegung, als verzichte er darauf, das Unglück aufzuhalten, »so ist die nun mal.« — Und dann lud Großmutter den Freier zum Kaffee und zu frischen Waffeln ein, und nach dem Kaffee tranken die Herren einen Grog, und noch einen, und noch mehrere. Großvater stellte zartfühlend fest, allzu knusprig wären sie beide nicht mehr und allzuviel Zeit hätten sie nicht zu verlieren, und so wurde der Hochzeitstermin auf das Ende des kommenden Monats festgesetzt. Es war einer der letzten Septembertage. Natürlich erschien Vater pünktlich zur Trauung, aber Mutter erkannte ihn nicht, und als ein fremder Herr auf sie zutrat, bekam sie das Zittern, weil sie sich nichts anderes denken konnte, als daß der Fremde als Bote mit der Nachricht komme, Vater sei nach Samarkand geritten, um dort Kamele zu kaufen. Nun, um den Altersunterschied von fünfzehn Jahren zu seiner jungen Frau ein wenig zu kaschieren, hatte Vater sich den Bart abnehmen lassen und erschien glatt rasiert und sicherlich gut gelaunt vor einer Braut, die zu seiner größten Bestürzung hemmungslos zu schluchzen begann. Man mußte sie lange beruhigen und ihr gut zusprechen, bis sie Vaters Arm nahm und sich von ihm vor den Altar führen ließ.
»Ach, weißt du, Jungchen«, sagte sie später, wenn sie auf ihren Hochzeitstag zu sprechen kam, »er hatte so ein kleines, kahles Gesicht, nichts als Brille Und Nase — und sah einfach nach gar nichts aus...«
Die Hochzeit wurde im allerengsten Familienkreise gefeiert. Tante Emilie, eine Schwester meines Vaters, die ihm während seiner Witwerschaft das Haus geführt hatte, war dabei. Und aus Königsberg erschien Onkel Benjamin, Vaters um zwanzig Jahre älterer Bruder. Er war Oberzahlmeister des Kürassierregimentes Nr. 3 und brachte ein fürstliches Geschenk mit, ein zwölfteiliges Service der Berliner Manufaktur, von dem eine Kaffeekanne zwei Weltkriege und den langen Fluchtweg der Eltern heil überstanden hat und noch in meinem Besitz ist. — Die geheime Sorge meiner Mutter, die drei Kinder, die Vater in die Ehe mitbrachte, könnten ihr reserviert oder gar feindlich begegnen, war unbegründet. Die beiden Mädchen akzeptierten die neue Mutter ohne Widerstände, und zwischen meinem Bruder Ernst und ihr entwickelte sich im Laufe der Jahre ein besonders herzliches Verhältnis. Vater und Sohn standen weniger gut zueinander. Das hatte seinen Grund. In den kleinen Städten gab es außer gelegentlichen Tanzveranstaltungen oder Kegelpartien wenig Unterhaltungsmöglichkeiten. Man machte ein wenig Hausmusik — Ernst war ein ausgezeichneter Klavierspieler und gehörte dem Sängerkränzchen an, einer nach Art einer Studentenverbindung aufgezogenen Vereinigung der Sekundaner und Primaner des Gymnasiums, die mit Liedern und auch anspruchsvolleren Werken, etwa Bachschen Kantaten und Motetten an die Öffentlichkeit trat. Hinterher fand man sich — und das war wohl der Hauptzweck aller Vereine, wie sie auch immer heißen mochten — in fröhlicher Runde
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