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Fröhliche Zeiten

Fröhliche Zeiten

Titel: Fröhliche Zeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Hassencamp
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Österreichisches Baronesserl von Geburt, verfügte sie über eine zahlreiche Verwandtschaft, darunter auch Tante Fanny Fürstenberg, die den veränderten Zeiten mit Luxus zu trotzen beliebte — sie hatte einen Modesalon gegründet.
    Das Kleid, das Nudy trug, eine véritable Création aus gerettetem oder organisiertem, jedenfalls sündteurem Material, war eine Leihgabe und bodenlang. Ideal, um damit geradelt zu werden. Ohne Fußstütze, mit angewinkelten Unterschenkeln, reichte die erlernte Conté-nance nur jeweils für wenige hundert Meter. Dann mußte er anhalten, damit sie die Seite wechsle.
    In Linksauslage ging alles glatt. Nahm sie jedoch von rechts Platz, verspürte Freund Schusch bald ein sanftes Bremsen, als hänge das Rad an einem Gummiseil, das sich zu spannen beginnt, während ein zusätzliches Begleitgeräusch ihn glauben machte, es reiße bereits. »Halt !« rief Nudy.
    Ein Streichholz erhellte den Grund für seine widersprüchlichen Wahrnehmungen: Das teure Kleid war zwischen Kette und Kettenblatt geraten.
    »Moment. Haben wir gleich .«
    Dem tröstlichen Kavalierswort folgten keine genaueren Angaben. Nur die Bitte, ein neues Streichholz zu entzünden und zu halten. Damals trug der Mann von Welt noch ein Taschenmesser bei sich. Und schnitt damit. »Bist du wahnsinnig ?« ereiferte sich Nudy. »Das Kleid gehört Tante Fanny !«
    Doch sie erinnerte sich, daß Besitz und Notlage zweierlei sind. Der Fahrtwind an ihren Knöcheln wurde deutlicher. Bei der nächsten Sanftbremsung gelangte sie zu neuer Einsicht.
    »Tante Fanny erschlägt mich !«
    »Nicht vor morgen«, tröstete der Kavalier und verwies auf die Zwanzigerjahre, da es Kleider mit wechselnder Saumlänge gegeben habe. Dieser Mode entsprach das zur Abfahrt bodenlange Modell bei der Ankunft, wenn man von einzelnen, fransenartig herabhängenden Fäden absah.
    »Das kann ich nie mehr zurückgeben !« Verzweifelt sah Nudy am Ziel der Fahrt in den Spiegel.
    »Dafür steht es dir auch zu gut«, entwichtigte der Kavalier.
    Mit einer Schere schnipselte die Gastgeberin den Saum auf die vom Schicksal vorgegebene Länge, während Freund Schusch weiteren Trost bereithielt.
    »Na endlich! Jetzt kommen deine Beine viel besser zur Geltung .«
    Er hatte recht. Zwischen den auf Abendkleid umgearbeiteten Damastvorhängen und Konzertflügeldecken stach das oben fabelhaft sitzende Modell schon durch sein Material heraus, trotz gewisser Extravaganzen im Parterre. Unter Freunden wirkte es, als hätt’s ihr Tante Fanny nicht nur auf den Leib, sondern auch auf die Seele geschneidert. Wenn jemand so etwas mit Stil tragen konnte, dann die quirlige Nudy, ein Wesen voll unerschöpflicher Reserven an Fröhlichkeit und Überraschungen, die Männer bis zur Sprachlosigkeit verwirren konnte. In euphorischer Laune kaute sie manchmal Gläser.
    Für das Fest war Nudys Pech ein Glück. Unbeschädigt hätte das Luxuskleid selbst an ihr madamig perfekt gewirkt. So fügte es sich in die improvisierte Eleganz des Abends. Er dauerte, wie üblich, bis zum Morgen. Der Schock kam nach kniefreier Rückfahrt und seligem Erwachen erst in der blauen Stunde.
    Wie sagen wir’s Tante Fanny? Jedenfalls nicht gleich!
    Es galt, den Tag der Hinrichtung möglichst hinauszuschieben.
    Nun erkennt man einen Kavalier auch daran, daß er Schwierigkeiten auf sich nimmt, für die er nicht unbedingt verantwortlich zu machen ist. Fahrrad und Haute couture passen in normalen Zeiten nicht zusammen. Doch damals war Unvereinbarkeit die Regel. Freund Schusch hatte es gut gemeint, und das sollte nicht strafbar sein. Er kannte Tante Fanny und strampelte anderntags zu ihr, um wahrheitsgemäß vom Erfolg des Festes und Nudys aufsehenerregender Erscheinung zu berichten.
    Scheibchenweise, nach bekannter Salamitaktik — allerdings ohne die nahrhafte Wurst — ließ er sich gewisse Widrigkeiten entlocken: Wie schwierig es sei, zu zweit ohne Licht zu radeln. Obendrein in einem so langen Kleid. Anstandshalber sollte man es reinigen lassen und dann erst zurückgeben. Dem widersprach die Tante entschieden. Das zu entscheiden, möge er gefälligst ihr überlassen. Nicht jedes Material eigne sich für chemische Behandlung. Also her mit dem Kleid!
    Jetzt half nur noch ritterliche Bekenntnis. Man trotzte ja den widrigen Zeiten mit gewissen umständlichen Formen. Aus gutem Grund. Weil Spielregeln Reaktionen berechenbarer machen und damit das Dasein erleichtern.
    Tante Fanny ahnte das Schlimmste, ahnte es mit vorbildlicher

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