Fröhliche Zeiten
über der Donau auf dem Michelsberg die Befreiungshalle klassizistisch in die Landschaft klotzt. Von König Ludwig I. zur Erinnerung an das Ende der napoleonischen Fremdherrschaft errichtet, war sie gewiß auch ein gut auszumachendes Bombenziel, als leerer Ruhmestempel aber kein lohnendes. Daher ein ideales Versteck schon des Unterhaus wegen. Nationale Einschüchterungsarchitektur pflegt auf überdurchschnittlich soliden Fundamenten zu ruhen.
Die kostbare Theaterhälfte verschwand in den geräumigen und trockenen Kellern des Monuments. Ein beamteter Wärter mit Dienstmütze bekam die Schlüssel sowie den Auftrag, Temperatur und Luftfeuchtigkeit konstant zu halten, indem er regelmäßig lüftete.
Beruhigt kehrte Tino Walz zu seiner Frau und weiteren Rettungsaktionen nach München zurück. Wie das Leben im Kriegsdeutschland für einen Neutralen aussah, bezeugen seine Tagebucheintragungen als bauleitender Architekt.
26. April 1944: Das Gewölbe des Theatinerganges stürzt ein und reißt die Residenzfassade am Odeonsplatz bis zur Decke Erdgeschoß mit sich.
25. Mai: Prof. Rudolf Esterer gründet die Bauleitung Residenz, die dem Ministerium direkt unterstellt ist.
4. Juni: Eine Abteilung Pioniere will die Reste der Fassade an der Residenzstraße sprengen. Bis von Gauleiter Giesler der Einstellungsbefehl erwirkt wurde, ist eines der Prunkportale schon zur Hälfte abgerissen, ebenso ein Teil der Nische der Patrona Boiariae.
13. Juni: Treffer im Hofgartentempel. Die Rottmann-Fresken unter den Arkaden werden abgenommen.
11. Juli: Erster Angriff 11 Uhr. Sprengbomben über der ganzen Stadt. Zeitzünder detonieren die ganze Nacht und erschweren die Rettungsarbeiten.
12. Juli: Zweiter Angriff mit Brandbomben. Feuersturm in Schwabing.
13. Juli: Dritter Angriff: Es funktioniert nichts mehr. Auch die Alarmanlagen versagen. Da es keinen Strom gibt, kann man auch übers Radio keine Luftwarnung erhalten. Nachrichtenlos lebt man in Ungewißheit wie auf einer Insel.
16. Juli: Vierte Angriffswelle. Die aus den Häusern auf die Straßenmitte geretteten Möbel brennen z. T. wie Zündschnüre durch die Straßen ab. Wasser gibt es nirgends mehr. Vom Nymphenburger Kanal versucht die Feuerwehr mit einer Schlauchleitung durch die Nymphenburger Straße Wasser ins Innere der Stadt zu leiten. Die gerade abgestützte Fassade der Grottenhalle erhält einen Volltreffer und bricht zusammen. Alle Mühe war umsonst. Die mittleren Felder des Antiquarium-Gewölbes stürzen ein. Der Brunnenhof ist umgepflügt. Volltreffer in den Steinzimmern. Durch die gerissene Lücke blickt man aus dem Innern der Residenz unmittelbar auf die Theatinerkirche. Unser Notbüro im Königsbau ist völlig zerstört. Treffer im Preysing-Palais, das zweite Notdach wie weggeblasen. In der Ökonomie des Englischen Gartens verbrennen 45 Stück Vieh.
20. Juli: Attentat mißglückt! Der Krieg wird weitergehen!
23. Juli: Die letzten Brandherde verlöschen. Es regnet stark. Die Residenz schwimmt, da kein einziges Notdach erhalten geblieben ist. Wir beginnen von vorne. Es gibt immer weniger zu schützen: Die Ahnengalerie, das restliche Antiquarium, das Schiff der Hofkapelle, Teile des Königsbaues, die Kaisertreppe. Stukkatur-Reste von Decken und Wandfriesen werden abgenommen, registriert und in den Kellergewölben gelagert. Wird man sie jemals verwenden?
7. November: Der erste Schneefall. Verheerende Zustände in der Residenz. Unerwartete Hilfe: Am 9. November soll Hitler zur Kranzniederlegung am Ehrenmal der Feldherrnhalle kommen. Die Residenzstraße muß dafür schuttfrei sein. Sonderzuteilung von zwei Baggern, beliebig Benzin und Lastwagen. Mit allen verfügbaren Kräften schaffen wir Schutt aus der Residenz auf die Straße, um ihn auf diese Weise loszuwerden. Die Feuerwehr muß mit Schwämmen den Staub von den traurigen Resten der Residenzfassade waschen. Tag und Nacht wird gearbeitet.
9. November: Die Kranzniederlegung findet nicht statt!! Radioansprache von Goebbels vom Endsieg.
Stoisch arrangierten sich die Menschen mit dem Wahnsinn. Sie machten einfach weiter, halfen einander und witterten, wo es etwas ohne Marken gab. Auch der großdeutsche Obergefreite Rieppel rettete, was zu retten war. Wie er von seinem Schwager wußte, befand sich im Keller unter dem Thronsaal der Residenz der Weinkeller des primitivsten aller Spitzen-Nazis: Christian Weber. Dort lagerte zusammengestohlene Rebenlese von Weltklasse, wie Rothschilds Chateau Mouton.
Im Frühjahr
Weitere Kostenlose Bücher