Fröhliche Zeiten
ausgeführt, sondern in Holz. Die Schnitzereien waren aufgeleimt und bemalt; ihr Ausbau machte keine Schwierigkeiten. Logenbrüstungen, Pfeilerverkleidungen, die ganzen Paneele wurden einfach zerlegt, in Kisten verpackt und weggebracht. Lediglich Teile aus Gipsmarmor am Unterbau der Königsloge sowie die Proszeniumsumrandung konnten nicht ausgebaut werden. Doch sie überdauerten wundersamerweise bis auf den Portal Vorhang.
Selbstverständlich sollten alle Stücke für den Wiedereinbau numeriert werden. Hier gab es eine Überraschung. Sie waren bereits auf der Rückseite fortlaufend gekennzeichnet.
»In der edlen und klaren Schrift der napoleonischen Zeit numeriert...«, wie Regierungsbaurat Mayer sich ausdrückte.
Was hatte das zu bedeuten?
Der Seniorchef der mit dem Ausbau beauftragten Firma Heinrich Pössenbacher fand die Erklärung: Zu Zeiten König Ludwigs I. galt Rokoko nicht viel, der Begriff war nahezu ein Schimpfwort. Zu üppig, zu verspielt, entsprach es nicht dem Zeitgeschmack. Damals war die gesamte Cuvilliés’sche Ausstattung zum ersten Mal ausgebaut und irgendwo im Stadtteil Lehel gelagert worden. Der leere Zuschauerraum mit den rohen Wänden diente dann als Dekorationsmagazin für das Hoftheater. Unter Ludwig II. feierte das Rokoko üppige Wiederkehr. Vor allem in seinen Schlössern Linderhof und Herrenchiemsee. Die Cuvilliésdekoration wurde wieder in den Theaterraum eingebaut und zum Teil unangebracht übermalt. Guter Stil hält so etwas aus, wie ein gutgebautes Stück eine schlechte Inszenierung.
Nun, beim zweiten Ausbau, wurde die eine Hälfte mit offizieller Fahrgenehmigung ins Pfarrhaus von Obing im Chiemgau gebracht. Die andere fühlte sich als Theaterdekoration dramatischem Geschehen offenbar besonders verpflichtet. Die Kisten und bis zu sechs Meter langen Paneelen aus Lindenholz sollten im Schloß Herrenchiemsee gelagert werden.
Hierbei wurde der private Charakter der Initiative deutlich. Das Unternehmen begann gewissermaßen im Familienkreis: Architekt Tino Walz leitete den Transport; sein Schwager, der Obergefreite Dieter Rieppel, führte ihn durch, dessen Schwägerin begleitete als Kunsthistorikerin die Fahrt.
Dieter, aus alter Münchner Familie, war nach längerem Lazarettaufenthalt nicht mehr frontfähig und zum Fahrlehrer für Lastwagen umgeschult worden. Täglich unternahm er mit Fahrschülern eine Übungsfahrt. Diesmal nach Herrenchiemsee. Das Fahrzeug, ein schwerer Laster mit Holzgasantrieb und Anhänger, wurde in der Residenz beladen und erreichte, von Tieffliegern unbelästigt, den Ort Gstaad am Chiemsee.
Dort wartete, vom Architekten Walz organisiert, eine Pontonfähre mit Motorboot als Zugmaschine. Millimeterweise bugsierte der Obergefreite persönlich das breite Gefährt auf die schmale Plattform. Rechts wie links ragten die Reifen einige Zentimeter über den Rand hinaus, zudem wehte eine nette Brise. Bei ausgezeichnetem Segelwetter mit kleinen Schaumkrönchen legten sie ab. Der Wind griff den Konvoj von der Seite an. Er war stark genug, den Kurs zu beeinflussen.
Rhythmisch wie ein Metronom schaukelte die kostbare Fracht von einer Seite zur andern; leicht grünlich mußten die Begleiter Zusehen, wie ihr ruderloses Floß dem Motorboot keineswegs folgte. Es brach nach der Seite aus, als wolle es zum Überholen ansetzen, änderte dann abrupt den Kurs, hielt auf eine nicht vorhandene Boje zu, wie beim Wasserskislalom. Jede dieser Wenden verstärkte den Eindruck, diesmal werde das hochbeladene Gefährt gewiß kentern. Doch, aller Landrattenfurcht zum Trotz, erreichte es die Insel. Millimeterweise, ohne von der Plattform abzukommen, rollte der Lastzug auf festen Grund. Die beiden Fahrschüler durften ihn zum Schloß steuern und dort das Rückwärtsfahren mit Anhänger üben, bis er korrekt vor der Abladestelle stand. Hilfskräfte verschiedener Nationalität luden ab und schleppten die Kisten in einen besonders trockenen Keller.
Auch die Rückfahrt, bei noch besserem Segelwetter, wurde ohne Seenot gemeistert. Es sollte nicht die letzte Feindberührung mit dem Element Wasser bleiben.
Im verschärften Bombenkrieg erwies sich das Schloß Herrenchiemsee als leicht auszumachendes Ziel. Und da die Alliierten nicht nur kriegswichtige Objekte in Trümmer legten, veranlaßte man den Umzug zu einem anderen Lagerort, den der umsichtige Schweizer ausfindig gemacht hatte.
Diesmal ging es nach kurzer Schönwetterbootspartie um so länger über Land. Bis hinauf nach Kehlheim, wo hoch
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