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Fröhliche Zeiten

Fröhliche Zeiten

Titel: Fröhliche Zeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Hassencamp
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Personalunion. Sattgelacht und spaßgewärmt kehrte das Publikum in seine Wohnhöhlen zurück.
    Was für ein Abend!
    Der Geist, von keiner Leibesfülle behindert, war mitgehüpft von Thema zu Thema, von Pointe zu Pointe; wieder einmal hatte sich Humor als einzig richtiger, einzig möglicher Blickwinkel erwiesen, der Unernst als Waffe gegen den lastenden Ernst. So konnte man leben. Die Erfrischung sprach sich herum. Geistiges München und geistige Schickeria ließen ihre Beziehungen spielen, um an Karten zu kommen. Das Theater war körperbeheizt und jeden Abend ausverkauft. Ursula Herking als Agnes Bernauer — das mußte man gesehen haben.
    Nun lebten in München auch Bayern. Sie amüsierten sich nicht minder über die gelungene Orff-Parodie.
    Da geschah eines Abends etwas Seltsames. Mitten im totsicheren Finale plötzlich deutliches Murren, Pfiffe hallten durch den Zuschauerraum, Rufe wurden laut. Aufhören! Schweinerei! Skandal!
    Als Gegenstände auf die Bühne flogen, mußte der Vorhang fallen. Es kam zu tumultartigen Szenen, daß man kein Wort mehr verstehen konnte. Die Schaubude hatte ihren ersten Theaterskandal.
    Hinter dem Vorhang, den weitere Würfe beulten, standen die Darsteller wie vom Blitz getroffen. Mußte der schmalbrüstige Frieden neuer Gewalt weichen? War der Anfang schon zu Ende? Kaum vernarbte Erinnerungen rissen wieder auf.
    »Was ist los ?« fragten sie verstört. »Die Nazis gibts doch nicht mehr .«
    Jetzt gab es in Bayern eine Bayernpartei. Für Bayern. Das war bekannt. Dort hatte man, wie sich später herausstellte, von der verballhornten Bernauerin gehört, über dunkle Kanäle Karten in größeren Mengen beschafft, und zum Haberfeld treiben geblasen. Die organisierte Entrüstung gipfelte in einem Sturm, in einem Volkssturm des Provinzialismus auf die lasterhafte Hauptstadt. Der Vergangenheit noch nicht entwöhnt, ging es darum, diesen vaterlandslosen Gesellen, die das gesunde Volksempfinden verhöhnen, ehrbares Weibsund Brauchtum mit ihren artfremden Füßen treten, ein für alle mal das Mundwerk zu legen.
    Parole: Ausradieren!
    Im Zuschauerraum tobte Publikumskrieg. Zwei Fronten hatten sich gebildet.
    »Saupreußen raus !« brüllten die einen.
    »Dableiben !« höhnten die andern.
    Als sich die Gegensätze zu Sprechchören formierten, fingen Ursula Herkings Augen grimmig — sendungsbewußt zu leuchten an, gleichsam in der Rolle der Heiligen Johanna. Mit raumgreifenden Laban-Schritten trat sie vor den Vorhang und rief leicht irre:
    »Auch ich bin eine Preußin !«
    Da raste die Bestie Publikum. Aus vermischten Motiven. Die Bekennerin aber zog sich, unter erneuten Würfen, als eilige Johanna zurück.
    Die Schlacht endete in allgemeiner Heiserkeit. Verluste fürs Publikum: eine halbe Bernauerin. Für die Schaubude wars ein Doppelsieg. An Bestätigung und Werbung. Um möglichen Steinwürfen vorzubeugen, verteidigte das Ensemble fortan die noch junge Freiheit der Meinung unter Polizeischutz.

    Am 20. Juni 1948 war die Vorstellung nicht wie gewohnt ausverkauft. Auch an den folgenden Tagen konnten wir abzählen, wer wohl stärker vertreten sei — Publikum oder Ensemble. Schaufenster quollen plötzlich über, Theater blieben leer. Die Re-materialisierung hatte begonnen. Mit neuer D-Mark.
    Rudolf Schündler wurde vom Steuerberater beschworen, sein Musenkind unverzüglich umzubringen. An den paar Tagen, die er zögerte, sollte er noch Jahre knabbern.

Unzeitgemäss elegant

    Das improvisierte Dasein in Trümmern erklärt, warum nach dem Zusammenbruch keine neue Zeit anbrach, sondern eine möglichst alte. Die Restauration entsprach dem verständlichen Wunsch, die Lebensumstände aus Friedenszeiten in bescheidenerem Maßstab wieder herzustellen. Auch die Jugend bildete da keine Ausnahme. Gelegentlich ein Fest in elegantem Rahmen entsprach etwa dem, was für spätere Generationen ein teurer Flitzer wurde — ein Mittel zum repräsentativen Auftritt, als gehobener Ausdruck von Freiheit. Die erforderliche Kleidung lieh man sich zusammen, das Vehikel, mit dem man vorfuhr, ließ noch alle Wünsche offen.
    Da strampelte eines Nachts mein Freund Schusch ohne Licht durch den Englischen Garten nach Schwabing. Er trug Smoking. Das rechte Hosenbein wurde von einer Klammer, dem sogenannten Zündschlüssel des kleinen Mannes, daran gehindert, mit der öligen Kette in Berührung zu kommen. Zwischen seinen Knien, auf dem Scheitelrohr des Rades, litt Nudy, die Begleiterin, gewissermaßen im Damensattel.

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