Fröhliche Zeiten
Zurückhaltung. Freund Schusch konnte ihre Klarsicht loben, eine gewisse Mitschuld der unberechenbaren Fahrradtechnik anlasten, und sich selber als Helfer, auf welchem Gebiet auch immer, anbieten. Sei es, daß er auf dem Schwarzen Markt Stoff für ein neues Unterteil besorge — die obere Hälfte habe keinen Schaden genommen und eigne sich beispielsweise als Spenzer ausgezeichnet. Verschiedene Materialien wären in der Mode bekanntlich kein Hindernis für einheitlichen Gesamteindruck. Das könne er beurteilen. Schließlich sei er Architekt.
Tante Fannys Ausdruck entspannte sich.
»Du könntest mir meine Wohnung herrichten«, sagte sie und überraschte ihn mit Kenntnissen von Baustoffen und Formen, als handle es sich um eine Création aus Samt und Seide.
Gleichsam unter Kollegen spielte er den Helfer voll aus. Seine schöpferische Phantasie versetzte Türen und Wände, bis das Konzept gefunden war, dem sie zustimmte. Alles hatte er berücksichtigt, auch das, was es nicht gab.
»Dazu brauche ich fünf Sack Zement .«
Spontan nannte die Tante einen englischen Namen. Nicht Portland, wie das Produkt eines deutschen Zementherstellers heißt, sondern einen Vornamen.
»Er ist Colonel bei der Militärregierung«, erläuterte sie. »Ich ziehe seine Frau an. Von ihr stammt übrigens der Stoff...«
Die glückliche Fügung wurde nicht weiter besprochen. Wenige Tage später gab sie Freund Schusch einen Schein mit amtlichem Stempel, der ihn ermächtigte, fünf Säcke Zement in einem Lager der Militärregierung abzuholen. Wieder machte der Transport Schwierigkeiten. Nicht daß die Säcke zwischen Kette und Kettenblatt geraten wären. Auf sein Fahrrad mußte der strampelnde Ritter diesmal verzichten. Jeder Polizist, ob Deutscher oder Amerikaner, hätte ihn bei diesem Frachtgut unweigerlich hinter Gitter verbracht. Tante Fanny telefonierte mit ihrer Kundin, ein Jeep lieferte alles an, der Architekt besorgte die Maurer.
Während der Umbau zügig voranschritt, fragte er einmal spaßeshalber nach dem Preis des ruinierten Kleides. Er entsprach in etwa seinem Honorar, wenn er eines bekommen hätte. Sparsam im Umgang mit dem kostbaren Material gelang es ihm, wenigstens einen Rest Zement gegen Naturalien umzutauschen.
Nudy konnte aufatmen. Sie behielt das Oberteil, zu dem sie sich einen Rock machen ließ. Nicht bei Tante Fanny. Die Einweihung des neuen Modeateliers war gleichzeitig Versöhnungstermin. Dank der amerikanischen Kundin gab es friedensmäßig zu essen und zu trinken. »Unzeitgemäß elegant !« lobte der Architekt sein Werk und nahm den Zündschlüssel des kleinen Mannes vom rechten Hosenbein.
Nudy trug, der Tageszeit entsprechend, einen kurzen Rock. In ihrer unbeschwerten Art sah sie die an sich unvereinbare Verknüpfung von Spinn- und Baustoff aus einem für alle Beteiligten interessanten Blickwinkel. »Wenn du mir wieder mal ein Abendkleid leihst, Tante Fanny, baut er dir eine Villa .«
Bürgerinitiative
Als 1944 die Bombenangriffe die Stadt umzupflügen begannen, retteten Münchner Bürger die unersetzliche Innenausstattung des Cuvilliés-Theaters in der Münchner Residenz.
Private Initiative war damals nicht ungefährlich. Kunstschätze erhalten zu wollen ohne Befehl von oben, wurde mit Defaitismus gleichgesetzt. Man glaubte demnach nicht an den deutschen Endsieg — eine Haltung, die nach vorgeschriebener Meinung den Abwehrwillen schwächte.
Die Retter waren Männer vom Fach. Sie hatten von Berufs wegen mit dem Bauwesen zu tun, insbesondere mit der Residenz. Sie wußten, wofür sie sich einsetzten - für eines der schönsten Rokoko-Theater der Welt.
Da milderte der Bombenangriff vom 18. März 1944 Gleichgültigkeit und Argwohn bei der Regierung so weit, daß sie ans Werk gehen konnten. Dr. Pfister, Baureferent im Kultusministerium, Ministerialrat Gablons-ky vom Innenministerium, Regierungsbaudirektor von Petz, Regierungsbaurat Otto Mayer, beide von der Bauleitung der Münchner Staatstheater und — man lese und staune, ein Neutraler, der die gefährdete Stadt hätte verlassen können, ein Schweizer Staatsbürger — der bauleitende Architekt in der Münchner Residenz, Tino Walz. Man ging professionell vor, beschloß die Innenausstattung zu teilen und beide Hälften an verschiedenen Orten auszulagern. Sollte eines der Notquartiere zerstört werden, konnte später die gerettete Hälfte als Vorlage für die Restauration dienen.
Das gesamte Dekor war nicht, wie Theaterbesucher vielfach glaubten, in Stuck
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