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Frösche: Roman (German Edition)

Frösche: Roman (German Edition)

Titel: Frösche: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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hinterließen wir einen sehr vertrauten Eindruck. Aber jeder von uns war mit seinen eigenen Sorgen beschäftigt. Kleiner Löwe mochte vielleicht an die niedlichen Kinder denken, mir tauchten vor dem geistigen Auge die zwanzig Jahre alten Bilder von der furchtbaren Verfolgungsjagd auf, die mir immer noch Herzklopfen verursachten.
    Wir gingen auf dem Bürgersteig der brandneuen, gerade fertiggestellten großartigen Schrägseilbrücke und überquerten den breiten Kiaulai. Es gab unter den Autos, die die Brücke passierten, viele BMW s oder Mercedes Benz, stromlinienförmig geschnittene Limousinen, wie große Möwen, die ihre Flügel ausbreiten und abheben. Auf der anderen Seite der Brücke sahen wir rechter Hand den Metropol-Golfplatz, linker Hand den Niangniang-Tempel der großen Himmelsmutter Tianhou 16 .
    Nach dem Mondkalender war es der 18. des vierten Monats, Buddhas Geburtstag, und man feierte das traditionelle Fest im Niangniang-Tempel. Im Viertel rund um den Tempel fand man keinen einzigen freien Parkplatz mehr. An den Nummernschildern konnten wir sehen, dass die Autos größtenteils aus den umliegenden Kreisstädten gekommen waren, aber sogar aus angrenzenden Provinzen waren Gläubige mit dem Auto da.
    Das Viertel war früher ein Dorf gewesen, das sich rund um den Tempel entwickelt hatte. Der Tempel hatte dem Dorf seinen Namen gegeben. Schon als Kind war ich mit meiner Mutter hierhergekommen, um Räucherwerk zu verbrennen. Obwohl es wirklich viele Jahre her war, obwohl in der Zwischenzeit so viel geschehen war, konnte ich mich noch gut daran erinnern.
    Während der Kulturrevolution hatten sie den Tempel dem Erdboden gleichgemacht. Der wieder aufgebaute Tempel war noch imposanter als der alte, er besaß eine majestätische Halle und purpurne Mauern mit glasierten gelben Veluriyam-Ziegeln, wie ein chinesischer Palast.
    Entlang den zwei Wegen zum Tempel drängten sich Räucherwerk- und Kerzenverkäufer und zahlreiche Stände mit Niwawa-Püppchen, hinter denen die Standbesitzer mit lauter Stimme ihre Tonkinder anpriesen:
    Tonkinder für eure roten Wunschbändchen!
    Niwawa-Püppchen für eure roten Wunschbändchen!
    Einer der Standbesitzer trug eine lange, senfgelbe Mönchstracht und hatte einen kahlgeschorenen Schädel, unschwer war zu erkennen, dass es sich bei ihm um einen Mönch handeln musste. Er schlug im richtigen Tempo und mit den richtigen Pausen den Rhythmus auf dem Holzfisch und sang dazu:
    Rotes Band am Hals des Puppenkinds,
    zu Hause freu’n sich alle schon aufs Kind.
    Eben noch am roten Band ins Haus geholt,
    vergeh’n zwei Jahr, da ruft es Papa, Mama schon.
    Meine Tonkindchen sind besonders fein,
    des Künstlers Hand gab’s ganze Herzblut rein.
    Niwawa-Püppchen von mir sind hübsch und bunt
    mit Aprikosenwangen und ’nem Kirschenmund.
    Meine Tonkindchen könnt ihr sehen
    in allen unsern 108 Kreisen,
    weil wir Shandonger sie am meisten
    wegen ihrer Zauberkraft preisen.
    Hast du ein rotes Band
    um eine einzige Puppe geschwungen,
    hast du alsbald einen schönen Jungen entbunden.
    Bei einem Niwawa-Puppenpärchen
    kriegst du Buben und Mädchen
    als Drachen- und Phönixpärchen.
    Bei drei Bändern mit drei Niwawa-Puppen
    winken dir die drei Glücksgestirnschnuppen
    mit Glück, hohem Alter, Beamtenrang.
    Wählst du vier Bänder und vier von den Kindern,
    nennst du alsbald die vier Lokapalas 17
    Himmelskönige deine dir treuen Söhne.
    Bei Fünfen werden dir fünf
    überragende Führerpersönlichkeiten
    in den Leib der Mutter wiedergeboren,
    sechs auf einen Streich gebe ich dir nicht,
    da fürcht’ ich,
    dass deine Frau ein Schnütchen zieht ...
    Die Stimme kam mir bekannt vor. Von Nahem erkannte ich ihn: Dieser falsche Mönch war doch tatsächlich Wang Leber.
    Er war gerade dabei, seine Niwawa-Püppchen an ein paar Frauen – waren es Koreanerinnen oder Japanerinnen? – zu verkaufen.
    Ich sinnierte noch darüber, dass es wohl besser wäre, Kleiner Löwe erst gar nicht hinzulassen, damit Leber nicht verletzt wäre, als sie – zwei Seelen, ein Gedanke, wie man so schön sagt – sich aus meiner Hand freimachte und zu Leber hinlief.
    Ich blickte ihr nach. Schlagartig war mir klar, dass sie gar nicht zu Wang Leber, sondern zu seinen Niwawa-Püppchen wollte.
    Leber hatte nicht zu viel versprochen. Die Tonkinder seines Standes waren von einer einzigartigen Schönheit. Links und rechts neben ihm verkaufte man auch Tonkinder, die grellbunt bemalt waren, und, ob es nun Mädchen oder Buben waren, alle gleich

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