Frösche: Roman (German Edition)
Löwe! Ihr habt verloren! Ha! Ihr seid gescheitert!«
Tränen liefen diesem hünenhaften Mann über das bärtige Gesicht und rannen in Rinnsalen herab.
Zu gleicher Zeit ließ Galle ein mark- und beinerschütterndes Brüllen hören.
Als das Patrouillenboot und das Floß zusammenstießen, beugte sich die Tante vor und streckte eine Hand aus.
Chen Nase zog ein Messer, er schien wie von Sinnen, wie ein kaltblütiger Mörder: »Nimm deine Teufelskrallen weg!«
Gugu sagte ganz ruhig: »Das sind keine Krallen von einem Teufel. Das ist die Hand einer Frauenärztin.«
Ich bekam dieses prickelnde Gefühl in der Nase, meine Augen wurden heiß, als ich verstand, was da geschah.
Ich schrie aus Leibeskräften: »Chen Nase, lass Gugu an Bord! Hilf ihr rauf! Lass sie Galle helfen, das Kind zu bekommen!«
Ich kriegte mit dem Enterhaken den Mast des Floßes zu fassen, und Gugu konnte mit ihrem massigen Körper auf das Floß hinüberwechseln. Kleiner Löwe sprang mit dem Arzttornister in der Hand hinterher.
Als sie Galles blutdurchtränkte Hose zerschnitten, drehte ich mich zur Seite, aber meine Hand hielt mit aller Kraft den Staken fest, damit das Patrouillenboot und das Floß zusammenblieben.
Einen Augenblick lang sah ich die kleine Galle ganz deutlich vor mir: Sie lag auf dem Floß in einer riesigen Blutlache, ihr zwergenhafter Leib mit dem hoch aufragenden Bauch erinnerte an einen erschreckten Delphin.
Der Strom brodelte flussabwärts, ungerührt Tag wie Nacht. 14 Die schwarzen Wolken rissen auf und plötzlich war gleißendes Sonnenlicht. Der Floßkonvoi bewegte sich flussabwärts wie eine Schlange, die mit dem Kopf wackelt und mit dem Schwanz wedelt. Mein Floß war führerlos mittendrin.
Ich war voller Erwartung, hörte Galle weiter schreien und war voller Erwartung, hörte die ans Ufer klatschenden Wellen und war voller Erwartung, hörte die Esel vom Ufer her brüllen und war voller Erwartung.
Vom Floß her ertönte der Schrei eines Neugeborenen.
Ich wandte ruckartig den Kopf und sah Gugu den zu früh geborenen Säugling in beiden Händen halten, während Kleiner Löwe ihm über dem Nabel einen Mullverband anlegte.
»Es ist wieder ein Mädchen«, sagte Gugu.
Chen Nase blickte deprimiert zu Boden, er sah aus wie ein platter Autoreifen. Mit beiden Fäusten trommelte er wild auf sein Hirn ein, verzweifelt stieß er hervor: »Es ist aus, alles ist aus! Es ist meine Schuld, dass jetzt alles aus ist. Seit fünf Generationen haben wir Chens immer wenigstens einen einzigen männlichen Erben gehabt, und nun werden die Chens mit mir aussterben.«
Gugu schnauzte ihn an: »Du Vieh!«
Obwohl Gugus Motorboot Wang Galle und ihr Neugeborenes mit Höchstgeschwindigkeit zurück zum Anleger brachte, war Galles Leben nicht zu retten.
Kleiner Löwe erzählte, dass Wang Galle kurz vor ihrem Tod noch einmal das Bewusstsein wiedererlangt habe. Sie hatte zu viel Blut verloren, ihre Gesichtshaut glich dünnem Goldpapier. Sie lächelte Gugu an und schien etwas zu murmeln. Gugu beugte sich über sie und hielt das Ohr dicht an ihren Mund. Kleiner Löwe erklärte, sie habe nicht hören können, was Galle Gugu gesagt habe, aber Gugu habe es deutlich verstanden.
Der Goldglanz wich von Galles Antlitz und es nahm eine graue Farbe an. Sie hatte die Augen weit geöffnet, aber sie strahlten nicht mehr. Ihr Körper hatte sich eingerollt und zusammengezogen wie ein zerknitterter leerer Mehlsack, wie der zurückgelassene Kokon, aus dem gerade die Motte entschlüpft ist, um in den Himmel zu fliegen. Gugu saß mit hängendem Kopf neben Galles Leichnam. Eine endlose Zeit verstrich.
Als sie sich erhob, seufzte sie schwer. Halb an Shizi gerichtet, halb ins Selbstgespräch versunken, sagte sie: »Was war das nun wieder?«
Galles Frühchen Chen Augenbraue überstand schließlich dank guter Pflege durch Gugu und Shizi die kritische Phase, in der man um sein Leben bangen musste, und überlebte.
DAS VIERTE BUCH
Verehrter Yoshito Sugitani san!
Es sind fast unmerklich schon ganze drei Jahre verstrichen, seit wir wieder nach Gaomi zurückgezogen sind, nachdem ich in den Ruhestand gegangen bin. Obwohl in diesen drei Jahren das Schicksal etliche Windungen und Wendungen mit sich gebracht und uns einiges abgefordert hat, haben wir schlussendlich doch noch große Freude erleben dürfen.
Dass Sie, lieber Freund, so voll des Lobes über mein drittes Paket mit Berichten über meine Tante sind, erfüllt mich mit Sorge und Ehrfurcht zugleich.
Sugitani san, Sie
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