Frösche: Roman (German Edition)
aussahen. Seine Tonkinder waren kräftig bunt, wirkten dabei aber natürlich; jedes einzelne war unterschiedlich. Jede Puppe war eine eigene Persönlichkeit; die eine war lebhaft, die andere ein vorwitziger Spaßmacher, die nächste bezaubernd naiv, wieder welche muffelig, und nicht zuletzt waren da die übermütigen, die laut lachend losprusteten. Ein Blick und ich wusste sofort, das mussten die Tonkinder von Hao Große Hand, dem berühmten Lehm- und Tonskulpturenkünstler aus Nordost-Gaomi sein. 1999 hatten er und meine Tante geheiratet. Er verkaufte seine Tonkinder seit vielen Jahrzehnten immer auf seine sehr eigene Art und Weise. Wie war das möglich, dass er sie Wang Leber zum Verkauf überlassen hatte?
Leber stand neben den Tonkindern seines Stands und redete mit leiser Stimme eindringlich auf die Frauen ein, die ein Figürchen kaufen wollten.
»Die Puppen da drüben sind ohne Frage kostengünstiger. Aber sie sind mit einem Model gemacht. Meine hier sind teurer, die hat der Gaomier Tonskulpturengroßmeister Qin Strom mit geschlossenen Augen aus einem Tonklumpen herausgeknetet. An diesen Tonkindern sieht man, was lebensecht heißt! Die Haut erscheint so zart, als ob sie schon die leiseste Berührung verletzten könnte!«
Leber nahm ein Tonkind mit kleinem Mündchen in die Hand, das aussah, als sei es in Wut geraten, und erklärte: »Die Wachsfiguren der französischen Madame Tussaud und die Tonkinder unseres Großmeisters Qin sind gleichrangige Kunstwerke.
›Da machte Gott der Herr den Menschen aus Erde vom Acker
und blies ihm den Odem des Lebens in seine Nase.‹
Schon mal gehört?
›Nüwa, die große Urahnin 18
und Mutter des Menschengeschlechts,
greift sich einen Batzen Lehm vom Gelben Fluss
und knetet daraus einen Menschen.‹
Schon mal gehört?
Erde ist das allerwundersamste Element.
Die Erde, die unser Meister Qin verwendet, holt er aus zwei Metern Tiefe aus dem Kiaulai-Fluss herauf. Sie besteht aus dreitausend Jahre alten Sedimenten. Sie ist Schlamm vom Grund des Kiaulai. Aus ihr besteht unsere Zivilisation, unsere Geschichte, einfach alles. Diesen Flussschlamm holt er ans Tageslicht, trocknet ihn an der Sonne, setzt ihn dem Mondlicht aus, um ihn schließlich, angereichert mit der Essenz von Sonne und Mond, auf dem Mahlstein zu zerkleinern. Dann fügt er klares Wasser hinzu aus den Tiefen des Flusses, gewonnen bei der ersten Morgenröte, und Wasser vom Grund eines Brunnens, gewonnen zum Zeitpunkt des Mondaufgangs, um alles zum einer griffigen Masse zu kneten und danach mit einem Wäschebleuel zu bearbeiten, bis die Erde teigig wie ein Mehlfladen ist. Erst dann beginnt er, die Tonkinder zu formen.
Außerdem sollt ihr noch wissen, dass er jedes Mal, wenn er ein Niwawa-Kindchen fertig hat, ihm mit dem Zahnstocher oben in den Schädel, da, wo die Fontanelle ist, ein kleines Loch piekst, um, nachdem er sich mit der Nadel in die Fingerkuppe des Mittelfingers gestochen hat, einen Tropfen seines eigenen Blutes einzufüllen. Das kleine Loch schließt er vorsichtig mit der Fingerspitze.
Dann stellt er das Tonkind zum Trocknen an einen luftigen, kühlen Ort.
7 x 7 = 49 Tage
Genau die Zeit, in der die Seele des Toten in der Zwischenwelt verharrt, um dann wiedergeboren werden zu können. Dann erst wird die Niwawa bemalt. So entstehen Tonkinder, die wirklich eine kleine Seele besitzen.
Ich will euch auch nicht verschweigen – zu fürchten braucht ihr euch nicht, wenn ich es euch jetzt verrate –, dass des Meisters Tonkinder in Vollmondnächten zu tanzen beginnen, wenn sie Flötenspiel hören. Sie tanzen und klatschen in die Hände und lachen fröhlich miteinander. Gerade so laut wie der Ton, den wir aus dem Handy hören, wenn wir mit jemandem telefonieren. Nicht sehr laut, aber sehr deutlich. Glaubt ihr mir nicht, dann nehmt ein paar Tonkinder am roten Band mit nach Haus. Wenn sie keinen Zauber besitzen, bringt sie wieder und werft sie mir hier vor meinem Stand in Scherben vor die Füße.
Ich bin mir sicher, keiner von euch wird auch nur ein einziges dieser zauberhaften Kinder missen wollen. Denn ihr würdet, wenn ihr sie zu Boden werft, Blut fließen sehen, würdet ihr Weinen hören ...«
Nachdem Wang Leber so das Blaue vom Himmel heruntergeredet hatte, kaufte jede der beiden Frauen, die zum Tempelfest angereist waren, zwei Tonkinder. Leber holte vier Präsentkartons unter dem Tisch hervor und packte die Tonkinder sorgfältig ein. Erst als die beiden Reisenden zufrieden von dannen gezogen
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