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Frösche: Roman (German Edition)

Frösche: Roman (German Edition)

Titel: Frösche: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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mehr aus den Augen gucken. Durch alle achtzehn Dörfer Nordost-Gaomilands, durch jede Gasse, jede Dorfstraße war ihr Rad gefahren, in fast jeden Hof hatte sie ihren Fuß gesetzt.
    1612 Entbindungen machte sie, angefangen vom 4. April 1953 bis zum 31. Dezember 1957, und brachte dabei 1645 Kinder zur Welt, darunter sechs tote Kinder, aber fünf davon waren Totgeburten und eines kam mit einem schweren Geburtsfehler zur Welt. Eine prächtige, wenn auch nicht perfekte Leistung.
    Als sie am 17. Februar 1955 der kommunistischen Partei Chinas beitrat, hatte sie ihren tausendsten Säugling entbunden, es war Li Hand, der Sohn unserer Lehrerin. Meine Tante erzählte uns, dass Lehrerin Yu ihre coolste Gebärende gewesen sei, während meine Tante das Kind zwischen ihren Beinen holte, habe sie mit einem Buch in der Hand den Unterricht vorbereitet.
    Auf ihre alten Tage sehnte sie sich in diese Zeit zurück, schließlich war die goldene Ära der chinesischen Geschichte auch ihre goldene Zeit gewesen. Ich erinnere mich, dass sie, nicht oft, aber gelegentlich, mit strahlenden Augen sehnsuchtsvoll sagte: »Damals war ich Mensch gewordener Bodhisattva 6 , die große Muttergöttin Avalokitesvara, die die Kinder schenkt, meinem Körper entströmte der köstliche Duft aller Arten von Blumen, summende Bienenschwärme, flatternde Schmetterlinge folgten mir, und jetzt? Jetzt folgen mir die Schmeißfliegen ...«
    Auch ich habe meinen Namen von meiner Tante erhalten, als Schuljunge wurde ich Wan Fuß gerufen, mein Kosename aus Kindertagen war Kleiner Renner.
    Verzeihung, bester Freund, ich erkläre es Ihnen: Wan Fuß ist mein ursprünglicher, Kaulquappe mein Schriftstellername.

5
    Meine Tante war längst im heiratsfähigen Alter. Aber weil sie selbst verdiente, noch dazu im öffentlichen Dienst, und deshalb den Reis aus der Brigadeproduktion aß, weil sie der glorreichen Familie meines Großonkels entstammte, wagte keiner der jungen Männer im Dorf, sich Hoffnungen zu machen. Ich war damals fünf, als ich meine Großtante und meine Oma tagein tagaus von nichts anderem mehr sprechen hörte.
    Sorgenvoll sagte meine Großtante: »Was soll man davon halten, Schwägerin! Unsere Herz ist zweiundzwanzig, die gleichaltrigen Mädchen haben alle schon zwei Kinder. Und um ihre Hand hat noch kein einziger Junge angehalten!«
    Meine Oma widersprach: »Aber Schwägerin, warum so eilig? So eine wie unsere Herz kann sogar bei Hofe einheiraten und Kaiserin werden! Pass auf, dann bist du Kaiserschwiegermutter und wir sind Angehörige der kaiserlichen Familie, das wird uns noch nützlich sein.«
    Die Großtante sagte nur: »Der blanke Unsinn, was du da sagst! Den Kaiser gibt’s seit der Revolution nicht mehr, Volksrepublik heißen wir jetzt, und anstelle des Kaisers regiert der Vorsitzende unser Land.«
    »Wenn jetzt der Vorsitzende Herr im Staat ist, lass sie uns ihm zur Frau geben!«
    Grollend erwiderte die Großtante: »Du bist mir eine! Mit dem Körper reingerutscht in die neue Epoche, aber dein Hirn hast du draußen gelassen.«
    »Ich kann mich mit dir nicht messen! Aus Heping bin ich nie rausgekommen. Ich hab mein gesamtes Leben in unserem Dorf verbracht. Du dagegen hast die befreiten Gebiete kennengelernt, bist in Pingdu gewesen«, sagte meine Oma.
    »Komm mir nicht mit Pingdu, da beginnt mir sofort die Kopfhaut zu kribbeln!«, fiel die Großtante ein, »dahin haben mich die Japsen verschleppt! Ich hab’s mir dort nicht gut gehen lassen! Büßen musste ich, dass du es weißt!«
    Das Gespräch der beiden alten Schwägerinnen mündete wie so oft in einen Streit. Und wenn die Großtante tags zuvor wutschnaubend gegangen war, als hätte sie nun endgültig und für alle Zeiten mit meiner Oma gebrochen, war sie anderntags wieder da und zu neuen Gesprächen aufgelegt. Meine Mutter, die den täglichen Auseinandersetzungen der beiden über Tantes Hochzeitsangelegenheiten zuschaute, belächelte sie insgeheim.
    Ich erinnere mich an den Abend, an dem unsere Kuh kalben sollte. Ich frage mich, ob sie sich meine Mutter oder ob das Kälbchen sich mich zum Vorbild genommen hatte, jedenfalls erschien zuerst ein Bein. Dann blieb das Kälbchen stecken, kam nicht vor, nicht zurück. Die alte Kuh presste und muhte dabei vor Schmerzen. Sie litt erbärmlich. Mein Vater und mein Opa waren in äußerster Sorge, händeringend traten sie von einem Fuß auf den andern, gingen im Kreis, doch sie wussten nicht, was sie tun sollten. Das Rind ist dem Bauern ein Garant zum Überleben.

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