Frösche: Roman (German Edition)
wie immer, sie wusch sich die Hände, zog frische Kleidung an, entzündete drei Räucherstäbchen vor der Ahnentafel auf unserem Hausaltar, machte vor den Ahnen drei Kotaus und jagte alles, was männlich war, zum Haus hinaus. Meine Mama war keine Erstgebärende, vor mir hatte sie meine beiden Brüder und meine Schwester geboren. Oma redete ihr gut zu: »Heute wird alles wie am Schnürchen laufen! Das machst du doch mit links. Du wirst das Kind ganz in Ruhe zur Welt bringen.«
Aber Mutter widersprach: »Mama, ich habe ein ungutes Gefühl. Diesmal fühlt sich alles anders an.«
Oma jedoch nahm nicht ernst, was sie sagte: »Na aber, aber, was ist denn anders? Ein chinesisches Einhorn wirst du wohl nicht gebären?«
Meine Mutter hatte sich nicht getäuscht, meine Brüder und meine Schwester waren alle drei mit dem Kopf zuerst gekommen, ich jedoch streckte zuerst ein Bein heraus. Als Oma mein Bein sah, war sie starr vor Schreck. Es gibt eine Redensart bei uns auf dem Land, die heißt: Streckt’s den Fuß zuerst raus, zieht’s dich bis aufs Hemd aus . Will sagen, so ein Geist, der die Schulden eintreibt, kommt ins Haus. Was hat es damit auf sich? In früheren Existenzen ist die Familie jemandem Geld schuldig geblieben. In dem Kind wird der Gläubiger in die Familie wiedergeboren und stürzt die Gebärende in Not. Entweder sterben beide im Kindbett oder das Kind stirbt, wenn es ein bestimmtes Alter erreicht hat, nicht ohne die Familie damit finanziell wie seelisch in den Ruin zu treiben. Meine Oma mimte Gelassenheit: »Flinke Beine, der Kleine, der wird mal Amtsdiener und kommt in den Kurierdienst! Hab keine Angst, ich weiß schon, was wir da machen.«
Sie holte einen bronzenen Waschkessel herbei, stellte sich damit auf den Kang und schlug kräftig wie auf einen Gong mit dem Nudelholz darauf. Der Kessel dröhnte, während sie rief: »Komm hervor, zeig dich! Dein Herr schickt dich, einen Hühnerfederbrief auszuliefern. 5 Eil dich, sonst setzt’s eine Tracht Prügel!«
Meine Mutter spürte, dass es ernst um sie stand. Sie pochte mit dem Handfeger gegen das Fenster, um meine Schwester herbeizurufen, die im Hof Wache stand: »Aman, lauf schnell und hol deine Tante.«
Meine Schwester, klug wie sie war, rannte zum Dorfamt, zu Yuan Gesicht, damit er die Krankenstation anrief. Den alten Telefonapparat habe ich aufgehoben, weil er mir das Leben gerettet hat.
Es war der sechste Juni, der Kiaolai-Fluss war über die Ufer getreten, die Steinbrücke stand unter Wasser, aber wegen der Schaumkronen auf den hochschlagenden Wellen konnte man ungefähr abschätzen, wo sich die Brücke befand. Der Tunichtgut Du Hals, der am Fluss beim Angeln war, sah, wie meine Tante pfeilschnell zum Ufer herunterradelte, zu beiden Seiten des Rads spritzten die Wellen schäumend mehr als einen Meter in die Höhe. Sugitani-san, wenn die reißenden Wassermassen meine Tante in den Fluss gespült hätten, gäbe es mich heute nicht.
Triefend kam Gugu zur Tür herein.
Meine Mutter sagte, als sie ihre Cousine in der Tür erblickt habe, sei sofort eine fast heilige Ruhe über sie gekommen, als wäre sie mit Tabletten ruhiggestellt worden. Gugu stieß meine Oma sogleich zur Seite und fuhr sie an: »Tante, wenn du so ein Getöse machst, wird sich das Kind niemals blicken lassen.«
Meine Oma verlor sich in Ausflüchten: »Alle Kinder mögen doch gern Trubel, bei Getrommel kommen sie immer neugierig herbei!«
Später erzählte mir meine Tante immer, sie habe mich an den Beinen aus meiner Mutter gezogen wie ein Rübchen am Grün aus der Erde. Das war natürlich nur Spaß. Nachdem ich geboren war, machten es sich meine und Nases Mutter zur Pflicht, für meine Tante Reklame zu machen. Überall kreuzten sie auf und erklärten die Vorzüge der neuen Geburtshilfe. Wenn Yuan Gesicht oder der Nichtstuer Du Hals Leute trafen, sprachen sie von Tantes Radfahrkünsten. Der Ruhm meiner Tante verbreitete sich wie ein Lauffeuer, und die alten Wehmütter interessierten niemanden mehr. Sie waren alsbald Geschichte.
Von 1953 bis zum Jahre 1957 erlebten wir eine Phase des wirtschaftlichen Aufschwungs, die Produktion steigerte sich. Wir hatten keine starken Stürme und der Monsun brachte pünktlich die richtige Menge Regen, so dass wir einige Jahre reiche Ernten hatten. Es gab genug zu essen, wir waren warm angezogen, hatten beste Laune und unsere Frauen wurden um die Wette schwanger und gebaren ein Kind nach dem anderen. In diesen Jahren konnte meine Tante vor Arbeit nicht
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