Frösche: Roman (German Edition)
zurückgeblieben war. Unser Schulkantinenkoch Wang meinte: »Eine Narbe am Bein geht gar nicht! Wenn die Piloten im Luftraum sind, platzen die Narben durch den Unterdruck, und das ist noch nicht alles, selbst zwei verschieden große Nasenlöcher sind schon ein Hindernis.«
Kurzum, seitdem meine Tante diese Liebesgeschichte mit dem Piloten angefangen hatte, stellten wir bei allem, was irgendwie mit der Luftwaffe zu tun hatte, die Ohren auf.
Obwohl heute ein Mann von über fünfzig, bin ich noch so ein Gockel, dass ich mir, wenn ich im Lotto hundert Yuan gewinnen würde, bestimmt ein Megaphon schnappte, um es in der ganzen Stadt herumzuposaunen. Lieber Freund, Sie können sich vorstellen, wie aufgeblasen ich gewesen sein muss, als ich in der Grundschule einen Onkel in spe hatte, der von Beruf Jetpilot war.
Im Umkreis unseres Dorfes gab es den fünfundzwanzig Kilometer entfernten Kiaoutschou-Flugplatz und den dreißig Kilometer entfernten Gaomi-Flugplatz. Die Maschinen auf dem Kiaoutschou-Flugplatz waren groß, schwerfällig, schmutzig schwarz. Die Erwachsenen sagten, dort würden die Bomber landen. In Gaomi dagegen landeten Kampfflieger, so eine Art Starfighter von silbergrauer Farbe, die weiße Achten an den blauen Himmel malten und dort kopfüber Purzelbäume schlugen. Mein großer Bruder sagte, das seien die Shenyang J-5, diese Fighter-5, den russischen Jagdfliegern MiG -17 nachempfunden. Es seien richtige Kampfflugzeuge, die im Koreakrieg die North American F-86 so in die Flucht geschlagen hätten, dass die Amis tüchtig die Hosen voll gehabt hätten. Klar, dass unser Onkel in spe diese Kampflugzeuge flog. Damals war China in ziemlicher Kriegsstimmung, die Jäger auf dem Gaomi-Flugplatz hatten täglich Flugübungen. Sie flogen am Himmel über unserm Dorf kopfüber, der Luftraum über unseren Köpfen war ihr Schlachtfeld. Mal flogen sie zu dritt, mal zu sechst. Mal hängte sich eine Maschine einer anderen ans Heck, und sie flogen Zweierloopings. Mal stürzte der Fighter-5 mit dem Bug voran in die Tiefe, so dass das Flugzeug mit der Nase fast die Krone unserer großen Dorfpappel berührte, nur um sofort wieder senkrecht in die Höhe zu schießen und sich wie eine Steppenweihe in den Himmel hinaufzubohren.
Eines Tages donnerte es wie eine Bombe vom Himmel herab, so heftig, dass die Erschütterung bei allen Familien die Papierfensterscheiben zerriss. Meine Tante erzählte, dass sie gerade einer im fortgeschrittenen Alter Erstgebärenden und Risikoschwangeren Geburtshilfe gab und – weil alles nichts half – das Skalpell schon in der Hand hatte, bereit, im nächsten Moment zu schneiden. Da hörte sie draußen dieses ohrenbetäubende Donnern. Die Gebärende erschrak so sehr, dass sie abgelenkt war und der Geburtskrampf sich löste. Sie gebar ihr Kind mit einem Ruck.
Wir Schüler in der Schule waren vor Schreck wie versteinert. Als wir uns gefasst hatten, liefen wir zusammen mit unserer Lehrerin hinaus und blickten mit gestreckten Hälsen in den strahlend blauen Himmel. Wir sahen einen Flieger, der am Heck ein zylinderförmiges Etwas hinter sich herzog. Hinter ihm her jagte die Fliegerstaffel. Die Staffelflieger pendelten an seinem Heck von links nach rechts und kamen dabei dem Etwas gefährlich nah. Zuerst stießen sie nur vereinzelte Rauchwolken aus. Dann hörten wir lautes Donnern wie Geschützfeuer. Es klang weiter entfernt, nicht wie der erste Knall. Auch besaß es nicht die unmittelbare Gewalt des ersten. Es war das zweitlauteste Geräusch, das ich jemals gehört habe. Dagegen ist das Einschlagen eines Blitzes in eine mächtige Weide und das Auseinanderbersten ihres Stammes nicht der Rede wert. Als hätten die Piloten das Schleppziel, das der Flieger hinter sich herzog, mit voller Absicht nicht abgeschossen, umrundete der weiße Qualm der explodierenden Geschosse es immer nur, bis der Flieger aus unserem Gesichtsfeld verschwunden war. Es gab keinen Treffer. Chen Nase, den wir alle wegen seiner großen Nase Ausländernase nannten, rieb sich seinen Riechkolben und sagte verächtlich: »Chinesische Piloten haben ja überhaupt nichts drauf! Wären das Sowjets gewesen, hätten die ihr Ziel gleich mit der ersten Granate abgeschossen.«
Ich weiß, dass Chen Nase das nur sagte, weil er mich um den Onkel in spe beneidete. Er war in unserem Dorf geboren, aufgewachsen, nicht mal einen sowjetischen Hund hatte er je zu Gesicht bekommen. Woher wollte ausgerechnet er wissen, dass die Flugtechnik der Sowjets besser war als
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