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Frösche: Roman (German Edition)

Frösche: Roman (German Edition)

Titel: Frösche: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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überaus hübsch. Ich liebte meine Uhr abgöttisch. Beim Waschen passte ich auf, dass sie nicht mit Wasser in Berührung kam. Wenn es regnete, versteckte ich mein Handgelenk im Ärmel. Als die Farbe verblasste, lieh ich mir seinen Füller und malte die Linien nach. Sie blieb drei Monate lang an meinem Arm.

6
    Ein Kampfjetpilot hatte meiner Tante die Enicar-Armbanduhr geschenkt. Ein Jetpilot! In der damaligen Zeit! Als wir Kinder das hörten, quakten wir wie die Frösche, und ich schlug am Boden Purzelbäume.
    Dieses frohe Ereignis berührte nicht allein unsere Familie. Das ganze Dorf war aus dem Häuschen. Alle fanden, meine Tante passe optimal zu einem Jetpiloten. Der Koch Wang aus der Schulkantine war während des Koreakriegs im antiamerikanischen Widerstand und in der Koreahilfe gewesen, er sagte, die Jetpiloten seien aus reinem Gold geschmiedet. Menschen aus Gold? Argwöhnisch fragte ich nach. Schullehrer und Kommunekader, die gerade in der Kantine beim Essen waren, hörten mit, als er mir antwortete: »Was bist du für ein Dummerjan, Kleiner Renner! Ich wollte damit sagen, für die Ausbildung eines Piloten gibt der Staat Unmengen an Geld aus, in Gold aufgewogen sind das siebzig Kilo für einen Piloten.«
    Wieder zu Haus erzählte ich meiner Mutter, was ich von Koch Wang erfahren hatte. Sie sagte nur: »Beim Himmel! Was setzen wir dem denn vor, wenn er mal mit deiner Tante bei uns zu Besuch kommt?«
    Damals machte bei uns Kindern der Mythos vom Jetpiloten die Runde. Immer neue Geschichten gingen von Mund zu Mund. Chen Nase erzählte, seine Mutter habe in Harbin sowjetische Jetpiloten gesehen, alle trügen Gamslederjacken, kniehohe Gamslederstiefel, hätten Goldzähne und goldene Uhren, äßen turkmenische Würste aus Lebap und tränken Bier. Der Sohn des für den Brigadekornspeicher zuständigen Xiao Oberlippe parierte, die chinesischen Piloten äßen weit besser als die sowjetischen. Als sei er Jetpilotenkoch, ratterte er uns den Speiseplan chinesischer Piloten herunter: in der Früh zwei Hühnereier, eine Schale Kuhmilch, vier Schmalzkuchen, zwei Dampfnudeln und geschmortes Tofu, mittags eine Schale gesottenes Rindfleisch, einen gelben Fisch, zwei große Klebreisklöße, abends ein Brathühnchen, zwei mit Schweinemett und zwei mit Lammfleisch gefüllte Dampfnudeln, dazu eine Schale Hirsereisbrei. Nach jeder Mahlzeit noch Obst satt, Bananen, Äpfel, Birnen, Trauben, und was man am Tisch nicht aufisst, kann man mit aufs Zimmer nehmen. Pilotenlederjacken haben immer zwei große Taschen, das wisst ihr doch? Die wurden zum Obstmitnehmen entworfen! Wir mussten tüchtig schlucken, so war uns das Wasser im Munde zusammengelaufen. Jeder von uns träumte davon, Jetpilot zu werden und wie ein Halbgott zu leben.
    Als die Luftwaffe in unsere erste kreisstädtische Mittelschule kam, um Soldaten anzuwerben, war mein großer Bruder ganz aus dem Häuschen und meldete sich sofort zum Auswahlverfahren an. Man konnte wohl sagen, dass Herkunft und gesellschaftliche Stellung meiner Familie extrem vorbildlich waren, denn erstens waren alle in meines Großvaters Familie Landarbeiter beim Großgrundbesitzer gewesen. Opa war Lohnbauer und später Bahrenträger bei der Volksbefreiungsarmee. Er hatte sogar bei der Menglianggu-Schlacht die Tragen geschleppt. Und sein Trupp hatte den gefallenen Zhang Lingfu vom Schlachtfeld herunter ins Tal geschafft. Und zweitens entstammte meine Oma mütterlicherseits ebenfalls einer armen Lohnbauernfamilie, und mein Großonkel war sogar Märtyrer der Revolution. Außerdem war mein großer Bruder die geborene Sportskanone. Er konnte Diskuswerfen. Eines Nachmittags, nachdem er zu Mittag einen fetten Lammschwanz verspeist hatte, war er so energiegeladen wieder in die Schule zurückgekommen, dass er nicht wusste, wohin mit seiner Kraft. Er griff sich eine Diskusscheibe und schmetterte sie weit weg. Sie flog pfeifend über den ganzen Schulhof, über die Schulhofmauer und über den Acker, schnurgerade gegen das Horn eines Ochsen, mit dem ein Bauer gerade pflügte, und trennte das Horn sauber vom Kopf. Klassenherkunft, Schulbildung, ein makelloser Körper, die Fitness meines Bruders, dazu ein Pilotenonkel in spe ... Also bei uns fanden alle, selbst wenn die Luftwaffe nur einen einzigen im Kreis auswählen sollte, so entschiede sie sich hundertprozentig für meinen Bruder. Aber dann fiel er beim Auswahlverfahren durch, der Grund war eine Narbe, die von einem Furunkel, den er als Kind am Bein gehabt hatte,

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