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Frohes Fest!

Frohes Fest!

Titel: Frohes Fest! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Jeschke (Hrsg)
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und außerdem scheinen Sie auch meine Brille an sich gebracht zu haben und dann schließlich steckt Ihre Kleidung voll mit Falschgeld!«
    Bei den letzten Worten ergriff er Watermans rechten Arm und schüttelte ihn, und ein wahrer Wasserfall von mattgrauen Münzen ergoß sich auf den Fußboden. Wir anderen brachen in schallendes Gelächter aus und darauf folgte Applaus von allen, die beide Hände frei hatten zum Klatschen.
    Zwinkernd verbeugte sich Rawlings vor uns und hob dann seine ›Münzen‹ wieder vom Boden auf, wobei sich einige von uns – mich eingeschlossen – schnell bemühten, ihm zu helfen. Ich ergriff meine Chance beim Schopf, stellte mich als einer der Lektoren vor, die sein Buch positiv beurteilt hatten, und er schüttelte warm meine Hand. Mittlerweile stand Waterman wie ein begossener Pudel da, bis er begriff, daß ihm niemand irgendwelche Sympathie erweisen würde. Dann setzte er sich in Richtung Bar in Bewegung und murmelte etwas Giftiges in seinen Bart.
    Als Rawlings meine Hand losließ, war ich natürlich auf irgendeine Überraschung gefaßt. Ich habe noch nie einen Amateurzauberer erlebt (und schon gar keinen Profi), der nicht mit Hochgenuß seine Kunst zeigte, besonders vor Fremden. Aber ein leichtes Kitzeln in meiner Handfläche entsprach keineswegs dem, was ich erwartet hatte. Ich blickte hinunter und sah, daß aus meinem Ärmel der Schwanz einer rosa Gummimaus ragte, so wurmähnlich, daß ich sie schnell herauszog. Ich hatte Rawlings in Verdacht, mir einen übleren Streich zu spielen als vorher bei Waterman.
    Er beobachtete mich mit ernster Miene, als ich die ekelhafte Nagerpuppe hervorzog – sie hatte leuchtend grüne Augen – und sagte: »Ich glaube, sie breiten sich in London gerade immer mehr aus. Sind Sie vorher schon mal davon befallen worden?« Damit hatte er mich kalt erwischt.
    Na ja, es war unvermeidlich: Als sich die Neuigkeiten verbreiteten, kam alles auf ihn zu und verlangte eine Gratisvorstellung und Rawlings kam dem Wunsch nur zu gern nach. Und er war gut! Er konnte auf jeden Fall mit einigen von den Leuten mithalten, die man im Fernsehen sieht, die unter den unbestechlichen Augen der Kameras arbeiten können, ohne daß die Zuschauer bemerken, wie er das macht. Er war vorbereitet gekommen, da er wußte, daß dies ihn in unseren Zirkel einführen würde. Nach einer halben Stunde verblüffender Fingerfertigkeiten mit Spielkarten und Flaggen und Gläsern, die Wasser in Wein verwandelten und umgekehrt schämten wir uns allmählich ein wenig, daß wir ihn so ausnützten. Aber es war eine so wundervolle Abwechslung dem normalen Ablauf der Feier gegenüber! Glücklicherweise wurden wir etwa zur gleichen Zeit zum kalten Büfett gerufen und begaben uns also in den Speisesaal.
    Letztes Jahr hatten wir uns einen neuen und phantasievolleren Koch zugelegt. Das, dazu die Wirkung der wie immer vorzüglichen Weine im Club und die Freude, Raw zusehen zu können – er hatte uns erlaubt, ihn so zu nennen, wobei er uns davon ablenkte, daß er unserer Kassenführerin ineinander verschlungene Metallringe in die Handtasche steckte, die er und nur er wieder auseinanderbringen konnte, wenn er sie schüttelte – all das kombiniert, ließ die Feier nicht wie sonst zur Qual werden. Früher oder später mußte allerdings jemand auf die Idee kommen, ihn zu fragen, wie er diese ungewöhnlichen Fertigkeiten erlernt habe. Ich wünschte nur, es wäre nicht ausgerechnet Waterman gewesen, oder er hätte es wenigstens etwas höflicher formulieren können.
    Er schmollte immer noch, weil man sich so über ihn lustig gemacht hatte – der Bursche konnte keinerlei Sinn für Humor haben – und fauchte Raw von der Seite her an: »Ich schätze, Sie haben Zaubern gelernt, um Leuten, die Sie einsperren wollten, gegen die aber keine Beweise vorlagen, Beweisstücke unterzuschieben!«
    Das kurze Schweigen danach schien elektrisch aufge laden. Nur im Hintergrund ertönte noch immer leise Mu sik, durchsetzt mit Weihnachtsliedern. Das ist auch so ein Schandfleck auf unserem jährlichen Ding-Dong … (› Stille (?) Nacht‹? Entschuldigen Sie. Aber unsere Kassenführerin Maud Gray wählt die Musik aus, und die hat nun mal eine solche Wirkung auf mich. Sie schreibt Liebesromane, die ich einfach nicht lesen kann, im Gegensatz zu einer Menge anderer Leute. Außerdem war ich zu dem Zeitpunkt auch schon recht beschwipst – eine reine Schutzmaßnahme.)
    Dann, als der Sekretär sichtlich zu entscheiden versuchte, ob Waterman

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