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Frohes Fest!

Frohes Fest!

Titel: Frohes Fest! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Jeschke (Hrsg)
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öffneten und schlossen sich. Man hörte unterdrückte Stimmen, obwohl ich keine einzelnen Worte unterscheiden konnte. Alle schienen jedoch gegen etwas zu protestieren.
    Nach einigen Minuten öffnete sich meine Tür, und zwei Yetis versperrten den Weg. Einer der beiden erleuchtete mit seiner Lampe die Zelle, während der andere den Kübel entfernte, den ich für sanitäre Zwecke benutzt hatte, und ersetzte ihn durch einen anderen. Danach (und wenn man die Yetis kennt, weiß man, daß das nur danach sein konnte) stellte er ein verdecktes Tablett neben die Tür und verzog sich nach draußen.
    Erst die Scheiße, dann das Fressen! Ich weigerte mich zu glauben, daß Yeti-Hände das Mahl zubereitet hatten. Ich redete mir ein, es wären Elfenhände gewesen, aber ich glaubte meiner Lüge selbst nicht so recht.
    Es gab Rentiermilch-Käse. Ich konnte nicht erkennen, ob er sauber war, aber mittlerweile war ich so hungrig, daß ich es guten Glaubens hinnahm. Trockenes Brot – aber leidlich schmeckend. Ein Metallkrug mit Wasser, das ich verdammt nötig hatte, um Brot und Käse hinunterzuwürgen.
    Als ich satt war, prüfte ich sorgfältig den Krug, aber er war zu leicht für eine Waffe, mit der man auch nur den Schimmer einer Hoffnung hätte haben können, einen Ye ti aufzuhalten. Das Tablett jedoch bestand aus Metallfolie, und das brachte mich auf eine Idee.
    Man hatte mich nicht durchsucht, wenngleich man mein Werkzeugbündel an sich genommen hatte, als die Yetis mich in dieses Verlies führten. Gewöhnlich führe ich stets eine Anzahl Fläschchen mit verschiedenen Chemikalien bei mir. Jetzt wußte ich, daß ich aus der Zelle entkommen würde, wenn die Stunde dafür schlug. Zunächst jedoch mußte ich noch ein bißchen mehr das Pärchen in der Nachbarzelle belauschen.
    Eine Zeitlang hörte ich nichts weiter als Kauen, Schlucken und gelegentliche Beschwerden über die Qualität der Verpflegung. Aber endlich waren die beiden fertig, und es ertönte ein satter Rülpser.
    »Glaubst du etwa, der würde versuchen, uns zu helfen?« Das war wieder Frau Weihnachtsmann. »Glaubst du wirklich, der hätte auch nur daran gedacht, uns zu helfen, nachdem er alles hatte, was er wollte? Ich sag dir’s, Manne, du bist ein unsterbliches Riesen-Baby! Nun sitzen wir in der Tinte, und er hat nicht die leiseste Absicht, hier mit hineingezogen zu werden. Und diese dreimal verfluchten Elfen machen ihr Glück mit den Rechten an dem Film über diesen ganzen Schlamassel, wenn sie mit ihren Forderungen durchkommen.«
    Ich seufzte leise. Das bestätigte genau, was ich mir bereits zusammengereimt hatte. Aber der Weihnachtsmann unterbrach meinen Gedankengang.
    »So lang keiner rauskriegt, was wir wirklich machen, ist alles in Ordnung. Jemanden mit der Arbeit von Elfen zu bemogeln – selbst die zivilen Mächte tun das –, ist kein wirklich schreckliches Verbrechen. Im Grunde genommen interessiert sich heutzutage niemand mehr für die Elfen. Sie könnten sich alle aufhängen, und keiner weinte ihnen eine Träne nach. Stunk gäb’s allein wegen dieser Sache mit dem Glauben, wenn alles herauskäme!«
    Sie schnaubte verächtlich. »Ich hab’ dir schon immer gesagt, daß du zu weit gehst. Die eine Sache war, dem alten Glauben den Materialismus unterzujubeln. Was anderes jedoch, dich selbst zum Gott zu machen, und du hast das so fein eingefädelt, daß es selbst heutzutage niemandem richtig aufgefallen ist. Außer ihm, natürlich. Er lacht sich bestimmt jeden Tag halbtot, wenn er daran denkt, wie du für ihn die Menschheit betrogen hast, ohne daß er das Risiko eingehen mußte, Jenen Anderen vor den Kopf zu stoßen – oder daß er überhaupt zur Kenntnis genommen wurde.«
    Ich lehnte mich stärker an die Wand, denn meine Knie waren weich geworden. Ich dachte an die vielen Generationen, für die es ein unumstößlicher Glaubensgrundsatz gewesen war, daß der Alte da in der Nachbarzelle unfehlbar an jedem Weihnachtsabend käme. Der alte Bastard hatte uns zum eigenen Vorteil auf der ganzen Linie verraten und verkauft, und es sah so aus, als ob das gegenwärtige sichere ›Wissen‹, Luzifer sei lediglich eine literarische Gestalt, einen Scheißdreck wert sei.
    Ich nahm mir an Ort und Stelle vor, diesen Schweinereien irgendwie auf den Grund zu gehen. Und wenn ich davon überzeugt wäre, daß der Unsterbliche in der Nachbarzelle uns all die Jahrhunderte fröhlich dem Abgrund entgegengeführt hatte – nun, dann käme ein bißchen Schwung in die Angelegenheit.

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