Fronttheater
Trümmern eines ausgebrannten Hauses setzte er sich auf einen Balken und starrte in die noch glimmende, qualmende Asche.
»Sie brauchen mich nicht mehr.« Er sagte es halblaut vor sich als ob er seinen Gedanken mehr Überzeugungskraft geben wolle.
So fand ihn der Obergefreite Jupp Doelles.
»Herr Leutnant«, sagte er halblaut.
»Ja?« Kramer sah hoch.
»Kompanie ist abmarschbereit!« meldete Doelles.
Kramer nickte und stand auf. Mit langsamen, müden Schritten ging er neben Doelles zur Spitze der kleinen Fahrzeugkolonne.
Hauptfeldwebel Müller legte die Hand an den Helm, öffnete den Mund, um Meldung zu machen.
Kramer winkte ab. »Sie wissen ja Bescheid«, sagte er zu Müller. »Der Melder von der 3. führt die Kompanie in die Stellung seiner Einheit. Von da an übernimmt der Kompaniechef der 3. das Kommando.« Einen Augenblick sah er über Müllers Kopf hinweg ins Dunkel. Als ob er noch etwas sagen wolle. Aber dann schien er den Gedanken wegzuwischen. »Ja, das wär's«, sagte er nur noch.
Müller starrte ihn an. Langsam kapierte er, was Kramer ihm sagen wollte.
»Das – das geht doch nicht, Herr Leutnant«, stotterte er verstört. »Sie können doch nicht …«
»Doch, es geht, Müller.« Kramer lächelte seinen Spieß an. Ein freies, gelöstes Lächeln. Als ob mit seinem Entschluß, bei Irene zu bleiben, die ganze Last des Krieges von ihm abgefallen wäre.
»Aber – Herr Leutnant.« Müller hob beschwörend die Hand. »Wir können Sie doch nicht hierlassen … Die Partisanen …« Er riß sich zusammen. »Nein. Das geht nicht. Wir lassen das nicht zu. Nie. Sie gehören doch zu uns, Herr Leutnant.«
»Ein Mann gehört in erster Linie zu der Frau, die er liebt«, sagte Kramer. »Ich wäre ein elender Schuft, wenn ich sie jetzt im Stich ließe. Verstehen Sie das nicht, Müller?«
»Kommt ja gar nicht in Frage«, sagte eine andere Stimme.
Kramer wandte sich um. Erst jetzt bemerkte er, daß die halbe Kompanie sich hinter ihm versammelt hatte.
»Wir werden Sie doch nicht bei den Partisanen lassen.«
»Müller! Ich befehle Ihnen …«
»Was geht mich Ihr Befehl an?« schrie Müller, »wir wollen, daß sie mitkommen. Wir sind doch schließlich Ihre Kompanie.«
Kramer starrte in die Gesichter seiner Männer. Sie waren dreckig, verschwitzt, seit Tagen unrasiert, von Strapazen und Kämpfen ausgelaugt. Halb verhungert, alt geworden im jahrelangen Krieg. Wie eine undurchdringliche Mauer standen sie vor ihm. Die Stahlhelme schimmerten im Mondschein.
Kramer biß sich auf die Lippen. Nach ein paar Sekunden hatte er sich wieder in der Gewalt. Er sah auf das Leuchtzifferblatt seiner Uhr. »In zwei Minuten bricht die Kompanie auf«, sagte er und bemühte sich, seine Stimme nüchtern und sachlich klingen zu lassen. »Kompanieführer ist Hauptfeldwebel Müller. – Viel Glück, Kameraden!«
Er schob Müller zu Seite und ging an ihm vorbei auf das Steinhaus zu.
Doelles brauchte ein paar Sekunden, bevor er schalten konnte.
»Das gibt's doch nicht!« brüllte er Müller an. »Das kannste doch nicht zulassen!« Er wandte sich an die Landser. »Los, Jungs!« schrie er. »Wir holen ihn zurück. Mit Gewalt, wenn's nicht anders geht. Wir schlagen ihn zusammen und schleppen ihn …«
Er wollte schon wegstürzen. Hauptfeldwebel Müller erwischte ihn am Brotbeutel und hielt ihn zurück.
»Laß ihn in Ruhe«, sagte er leise.
Doelles starrte Müller entgeistert an. »Bist du auch übergeschnappt? Wir müssen doch unseren Leutnant …«
»Wir haben keinen Leutnant mehr«, sagte Müller. »Den Leutnant Kramer gibt's nicht mehr.« Er wandte sich um. »Aufsitzen!« brüllte er.
Leutnant Kramer stand vor dem Steinhaus und sah dem Aufbruch seiner Kompanie zu. Er sah, wie die Soldaten auf die LKWs kletterten, das dumpfe Brummen der Motoren klang auf.
Dann rollten die Fahrzeuge an, eins nach dem anderen. Den Feldweg entlang und in den Busch. Als sie im Wald verschwunden waren, hörte er noch eine Weile das Brummen der schweren Diesel.
Und dann war es still. Totenstill.
Er war allein. Allein in einem toten Dorf. Mit einer schwerverwundeten Frau.
Irene schlief, als Kramer in das Haus trat. Sie hatten ihr eine Morphiumspritze gegeben und die Wunde verbunden. Das war alles, was man tun konnte. Für den Notfall hatten sie eine Spritze und drei Morphiumampullen dagelassen.
Kramer zog die Stiefel aus. Er nahm die Mütze ab und schnallte das Koppel mit der Pistole los. Einen Augenblick wog er die Waffe in der Hand. Dann legte er
Weitere Kostenlose Bücher